Ausgabe 01 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ein Rettungsring für die Potsdamer Mitte

Wer in Potsdam, vom Hauptbahnhof kommend, das Stadtzentrum sucht, stößt kurz nach dem Queren der Havel auf eine weit offene Fläche mit ausladenender Straßenkreuzung. Dieses Fleckchen Land ist seit geraumer Zeit wildesten Auseinandersetzungen unterworfen, da dort, am früheren Alten Markt, einst das Potsdamer Stadtschloß gestanden hatte. Dessen Gestaltung drückte seinen Freunden zufolge „Esprit, Geist und Sinnesfreude des europäischen Rokoko" aus, fiel jedoch 1945 nach einigen Bombenvolltreffern den Flammen zum Opfer. Die verbleibenden Außenmauern wurden 1960 gesprengt.

In den letzten Jahren, da Potsdam inmitten der brandenburgischen Ödnis gemeinhin als Perle gefeiert wurde, führten die anschwellenden Rufe nach einem Wiederaufbau des alten Schlosses einerseits und die durchaus auch verbreitete Skepsis gegenüber einer Historisierung und ihren Kosten andererseits zu einem Kompromiß einiger wesentlicher Akteure: Das Land Brandenburg möge auf dem alten Bauplatz des Schlosses ein den modernen Erfordernissen entsprechendes Landtagsgebäude errichten, das zum Alten Markt hin eine historisierende Fassade erhalte. Die Landtagsschloßkoalition wähnte sich in der Mehrheit, nur die PDS kündigte Widerstand an.

Nun fiel aber gerade dieser Kompromiß, in einen Bebauungsplan gekleidet der Stadtverordnetenversammlung zur Abstimmung vorgelegt, unerwarteterweise zweimal hintereinander durch. Krisenstimmung war angesagt, man sprach von einem „verheerenden Signal für private Investoren", einer „städtebaulichen Katastrophe" und der „endgültigen Zerstörung der Potsdamer Mitte" ? kurzum: das Ende des Abendlandes war nahe. 

Nun ersannen die örtlichen PDS-Vertreter, die ohnehin gegen das Schloß gestimmt hatten, den Plan, eine Art Urabstimmung unter den Potsdamer Bürgern durchzuführen. Da sie sich als die am „meisten basisverbundene Partei" ansah und in alter Tradition ohnehin zu wissen meinte, wie das Volk tickte, erlitten sie angesichts der überraschend hohen Zahl von rund 43 Prozent, die für das Landtagsschloß gestimmt hatten, eine herbe Enttäuschung. Nun steht der Bebauungsplan erneut zur Abstimmung, und wir dürfen gespannt sein, ob die Stadtverordneten sich „dem Votum beugen" oder neue Begründungen einfallen lassen werden, um die Legitimität der Befragung ? eben ? in Frage zu stellen. 

Tobias Höpner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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