Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

poesie

Zu den wichtigsten politischen Philosophen des 20. Jahrhunderts darf man mit Fug und Recht Hannah Arendt zählen. Aus ihrer Feder stammt das epochemachende Werk über den Totalitarismus und die Beschreibung des Prozesses gegen Adolf Eichmann. Barbara Hahn und Marie Luise Knott rücken in ihrer Ausstellung jedoch eine unbekannte Seite der großen Denkerin in den Mittelpunkt: ihr literarisches Werk. Arendt dachte poetisch, schrieb mindestens 60 Gedichte und ließ sich über Dichtung aus. Umgekehrt wurde sie selbst zur erdichteten Figur, insofern sie in zeitgenössischen Romanen verewigt wurde.

E„Von Dichtern erwarten wir Wahrheit. Hannah Arendt und die Literatur" vom 9. bis 21. Dezember und vom 2. bis 11. Januar täglich 11 bis 20 Uhr im Literaturhaus Berlin, Fasanenstraße 23, Charlottenburg, Eintritt: 5, ermäßigt 3 Euro

melancholie

Regisseur Christoph Marthaler und Bühnenbildnerin Anna Viebrock gefallen seit mehreren Jahren mit ihren melancholischen Inszenierungen, die in Berlin vornehmlich an der Volksbühne zu sehen sind. Jetzt haben sich die beiden Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald" (1931) vorgenommen: Geschichten von Deklassierten, vom abgestürzten Mittelstand und Menschen im sozialen Niemandsland. Bei Marthaler/Viebrock spielt das Stück in Marzahn, in einer Gaststätte, in der alte Leute sitzen und Filme aus der Vergangenheit laufen. Sie sehnen sich nach imaginären Vergangenheiten: nach Heimat, Kultur, Religion, also im Grunde nach dem Tod, ohne es zu wissen.

E„Geschichten aus dem Wienerwald" mit Matthias Matschke u.a. am 2., 9., 19., 29. Dezember und 2. Januar in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte, Eintritt: 10 bis 30 Euro, ermäßigt 6 bis 15

melodie

Zum Ausklang des Jahres kann in der Kulturbrauerei noch einmal richtig das Tanzbein zu folkloristischen Klängen aus ganz Europa geschwungen werden. Fräulein Winkelmann ist eine multiple Persönlichkeit, deren zwölf Charaktere mehr als zwanzig Instrumente beherrschen. Die aktuellen Vorlieben des Fräuleins sind fetzige Balkan-Melodien, schottische und französische Walzer, irische, deutsche und skandinavische Tänze, jiddische Lieder und russische Weisen. Den russischen Melodien fühlt sich auch Dr. Bajan verpflichtet. Diese werden zu einer eigenwilligen Mischung verarbeitet, die musikalische Einflüsse aus der Zigeunermusik, der italienischen Folkmusik, Flamencorhythmen sowie Polka und Rock vereint. Geprägt wird dieser Mix durch das alles überragende Akkordeon (Bajan). Am 22. Dezember stellt Dr. Bajan seine neue CD vor.

EFräulein Winkelmann am 21. Dezember, 21 Uhr im Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Eintritt: 8 Euro; Dr. Bajan am 22. Dezember, 21 Uhr im Kesselhaus der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, Prenzlauer Berg

philologie

Spätestens seitdem Orhan Pamuk von einem Istanbuler Bezirksstaatsanwalt vor Gericht gezerrt wurde, da er öffentlich vom historischen Massenmord an den Armeniern zu sprechen gewagt hatte, umso mehr jedoch nachdem ihm der Literaturnobelpreis zugedacht worden war, ist der türkische Schriftsteller hierzulande ganz groß angesagt. Da wollen die Heinrich-Böll-Stiftung und das Quartiersmanagement Wrangelkiez nicht fehlen und laden zur Lesung mit Musik für Kinder und Erwachsene ein.

ELesung zu Ehren der Nobelpreisverleihung an Orhan Pamuk am 10. Dezember um 16 Uhr im Lido, Cuvrystraße 7, Kreuzberg, Eintritt frei

plakatologie

Das DDR-Regime hatte bekanntlich einen starken Hang, seine Bürger erziehen und auf den rechten Weg leiten zu wollen. Das zeigen auch jene Plakate zum Thema Umwelt- und Naturschutz, die damals von Litfaßsäulen, Laternenmästen und Hauswänden herab ihre Betrachter aufklären, belehren oder ihnen gar Befehle zu erteilen suchten. Teile einer Plakatsammmlung des Instituts für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung Neubrandenburg werden nun in der Geschäftsstelle der Grünen Liga erstmals öffentlich ausgestellt.

E„Grober Unfug! - Umwelt- und Naturschutzplakate der ehemaligen DDR" bis zum 30. Januar, Mo bis Do 9 bis 17.30 Uhr und Fr 9 bis 15 Uhr, Prenzlauer Allee 230, Prenzlauer Berg, Eintritt frei

fotografie

Neun Fotografen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Dynamik zwischen Permanenz und Vergänglichkeit ­ zwischen dem Wesen und dem schon Gewesenen ­ aus dem alltäglichen Erleben herauszulösen und für den Blick des Betrachters zu öffnen. Die Schnelligkeit unserer Zeit, die Problematik der Lebensphasen und der aktuelle Wandel des gesellschaftlichen Miteinanders sind die Themen, mit denen sie sich auseinandergesetzt haben. Die Ergebnisse sind ab Januar in der Galerie Alte Feuerwache zu bewundern. Zur Vernissage treten die Chorrupten mit einem kurzen à-cappella-Programm auf. Im Anschluß darf getanzt werden.

E„Wesen ­ Gewesen" vom 26. Januar bis 3. März in der Galerie Projektraum, Alte Feuerwache, Marchlewskistraße 6, Friedrichshain, Vernissage am 25. Januar um 19 Uhr

anarchie

Die „Neue Unterschicht" ist in aller Munde ­ oder ist sie als Thema auch schon wieder abgegessen und aus dem Blickfeld gerückt? Das Kulturamt Mitte jedenfalls versammelt einige Werke rund um Einblicke in heutige proletarische Identitäten, Verschuldung und miese Arbeitsangebote. Angesichts mancher Beiträge stellt sich zwar die Frage, ob sie nicht der Bestätigung bewährter Klassenvorurteile dienen, dafür stellen sich andere, so Oliver Pietschs Dokumentation Kreuzberger Treffpunkte der Alkoholiker- und Heroinszene, als um so anregender heraus.

E„Subsiders", noch bis zum 16. Dezember, Di bis Fr 14 bis 19 Uhr und Sa 13 bis 17 Uhr in der Galerie Weißer Elefant, Auguststraße 21, Mitte, Eintritt frei

lithographie

Ab sofort können Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren alles übers Comicmachen lernen und selber ausprobieren. Sie denken sich eine Figur aus, schreiben kleine Geschichten und zeichnen sie so auf, daß auch andere sie verstehen. Es entsteht ein Comicheft, das als Abschluß im Februar in einer Ausstellung in den Räumen der Comicbibliothek Renate präsentiert wird.

E„Mein eigener Comic ­ Comiczeichnen für Kinder": Einfach donnerstags, 16 Uhr, in der Comicbibliothek vorbeikommen, Tucholskystraße 32, Mitte. Die Teilnahme ist kostenlos. fon: 97005816, e-post: bibliothek@renatecomics.de

medeatie

Das ORPHTheater mischt in seiner neuesten Produktion MEDEA_DATEN einen alten Mythos auf: das Irrlichtern Medeas im ewigen Exil, einer altgewordenen Kämpferin in einer Welt, einer Sprache, die ihr fremd geworden ist. „Wir ueberleben/sehen es andere anders/wir wissen es nicht/der nach innenen gewachsene Terror/ein Stein im Raum."

E„MEDEA_DATEN" von Lou Favorite, 6.-10., 13.-17. Dezember und 10.-14., 17.-21. Januar, jeweils 20 Uhr im ORPHTheater, Ackerstraße 169/170, Mitte

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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