Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Eine Waschmaschine ist eine Waschmaschine

Zu Besuch im Elektronikmarkt

Technik erleichtert das Leben – diese Aussage dürfte von keinem vernunftbegabten Menschen bestritten werden. Doch wie gelangt man an die vielen Dinge, die einem alltägliche Herausforderungen bewältigen helfen? Richtig. Man geht in einen Elektronikmarkt. Und da fangen die Probleme an. Denn es ist, als müsse man erst eine Bewährungsprobe bestehen, bevor sich einem das Reich der Möglichkeiten und der Bequemlichkeit öffne.

Gelegen sind die Elektronikmärkte häufig in jenen pilzartig aus dem Boden schießenden Shopping Malls, in denen Durchschnitt und Mittelmaß Triumphe feiern. Die Architektur ist übersichtlich, das Angebot ohne jede Überraschung, und das Publikum schätzt eben das. Verständlicherweise, denn es ist einfach ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, daß man trockenen Fußes verschiedene Dinge bequem erhalten kann, nach denen man ansonsten lange suchen müßte, gerade in Berlin. Und so begibt man sich nolens volens in einen solchen Konsumtempel und eilt zielstrebig durch ein viel zu warmes und lärmvolles Gebäude, in dem die Mischung aus bunten Schaufenstern, Kunstlicht, Essensgerüchen und agilen Jugendlichen Kopfschmerzen verursacht.

Elektronikmärkte haben etwas Unerbittliches. Man tritt ein und wird überwältigt von einem schier unüberschaubaren Warenangebot. Dazu überall Lärm, also Lautsprecher, aus denen Musik dröhnt. Und Menschen, viele Menschen. Werbung schreit: Kauf mich, kauf mich! Wie sich hier orientieren? Wie finden, was man sucht? Keine leichte Aufgabe, denn die Beschilderung verschafft nur einen groben Überblick und beantwortet nicht die Frage, ob dieser oder jener Stecker nun in der einen oder der anderen Abteilung zu finden ist. Und da auch das Personal nur in sehr begrenztem Umfang anwesend ist, vorzugsweise ganz da hinten, am anderen Ende des Ganges, umlagert von anderen Kunden, hilft nur eins: Man muß selber suchen.

Durch die Gänge zu streifen kann allerdings sehr aufschlußreich sein. Man entdeckt dabei Dinge, von deren Existenz man bisher keine Ahnung hatte. Und sie auch nicht vermißt hatte, wie z.B. den Ultraschall-Luftbefeuchter von Wick für 84,99 Euro oder den Sterilisator für die Mikrowelle für 18 statt 29,99 Euro. Wer dachte, daß man zur Verbesserung des Raumklimas den Teppichboden entfernt und öfter mal das Fenster öffnet oder das Fläschchen für den Nachwuchs einfach in kochendem Wasser desinfiziert, der sieht sich nun eines besseren belehrt.

Spätestens beim Gang durch die Computerabteilung wird klar, daß man bisher wie auf dem Mond gelebt hat. Denn die Entwicklung in den letzten Jahren, in denen die Technik-Ausstattung des eigenen Haushalts zuverlässig ihren Dienst getan hat, hat sich inzwischen um mehrere Stufen weiter entwickelt. Man hat das bloß nicht bemerkt, weil, beispielsweise, der eigene Drucker ­ ein HP Deskjet 510 des Baujahrs 1992 ­ einfach immer nur gedruckt hat, ganz klaglos und so wie er sollte. Erst als er schließlich doch den Geist aufgab und ein neuer her mußte, wurde seine Antiquiertheit offenbar. Der neue, ein Canon Pixma IP 3000 (inzwischen vermutlich veraltet!), hat wesentlich mehr Funktionen und einen sicherlich besseren Ausdruck, indes trägt die Komplexität tendenziell dazu bei, daß der Benutzer überfordert zu werden droht.

Aber es finden sich, und das ist beruhigend, inmitten der immer komplexer und kleiner werdenden Geräte auch echte Juwelen, nämlich einfache Geräte, deren Funktionen sehr überschaubar sind ­ und deshalb gut. Z.B. der OCSM Radiowecker für 5,99 Euro, der in der Lage zu sein scheint, einen mit einem Sender der eigenen Wahl aus seinen Träumen zu reißen. Was will man mehr? Oder der Kassettenrekorder MG 3000 von Thomson für 24,98 Euro: Er ist schlicht, robust, funktional und deshalb schön. Keine Gimmicks, kein Blinken, keine versteckten Funktionen, kein „Menü", durch das man sich mühsam durchklicken („navigieren") muß. Nein, man drückt eine Taste, spürt, wie sich im Innern Hebel in Bewegung setzen, ein Abnehmer das Magnetband berührt. So muß das sein!

Ähnlich in der Abteilung für langlebige Gebrauchsgüter wie Waschmaschinen und Kühlschränke: Klare Funktionen, große Tasten, einfache Bedienung – das zeichnet diese Gerätschaften aus. Vermutlich lassen sie sich einfach nicht mehr weiterentwickeln, weil Wäsche eben nur gewaschen und der Teig einfach nur durchgeknetet werden soll. Sicherlich kann es auch hier Innovationen geben, vor allem was die Umweltverträglichkeit angeht. Aber letztlich ist die Entwicklung an ihrem Ende angelangt. Und vermutlich deshalb herrscht da, wo sie im Elektronikmarkt aufgestellt sind, wohltuende Leere; die technikaffine, innovationsfreundliche Jugend belagert andere Regale. Nur Ruhe herrscht auch hier nicht, denn irgendwo ist immer ein Lautsprecher montiert, mit dem die Gegend beschallt wird.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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