Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Neue Relevanz durch unabhängige Adressierung

Die Zukunft des Internet heißt Web 3.0

Der Hype ums Web 2.0, also Seiten wie Wikipedia, Myspace oder Youtube, auf denen Benutzer die Inhalte selbst gestalten, ist noch voll im Gange, schon wird an der nächsten Entwicklungsstufe des Internets gebastelt. Das sogenannte Web 3.0 soll eine Bedeutungsebene über das bestehende Web legen, die das Internet von einem Katalog zu einem Führer werden läßt. Dieses semantische Web hat erweiterte Auswertungsmöglichkeiten.

Unter Web 2.0 versteht man das „neue Netzverständnis": Über Portale stellt man Informationen auf einer gemeinsamen Plattform zur Verfügung, das gemeinsame Arbeiten und Indexieren steht im Vordergrund. Weblogs sind durch ihren eigenen Schreibstil ­ betont persönlich und ungeschliffen ­ keine Web 2.0-Erfindung, werden aber durch die Bereitstellung der Inhalte, zum Bestandteil des Web 2.0, also durch das Verschlagworten und die Weitergabe dieser Schlagworte, durch Kommentare, Pings und Trackbacks. Die eigene Homepage ist nicht mehr starr, sondern man läßt andere partizipieren und bringt sich und seine Beiträge selbst in die große Netzgemeinde ein.

Die Fortschreibung von Web 2.0 zu Web 3.0 bedeutet die technisch-strukturelle Entwicklung hin zum Semantischen Web. Das Web wird erweitert, indem man die Beziehungen der Artikel, Inhalte und Autoren zueinander mit einbezieht ­ sei es inhaltlicher, struktureller oder kontextueller Art. Auf diese Weise werden Inhalte bewertet, und zwar ohne das Zutun einer Redaktion, des Autors oder der Leser. Die Suche nach einer Bewertung ist eine der Kernaufgaben im Internet. Bei der stets zunehmenden Datenflut wird es immer schwieriger, die gewünschten Informationen zu extrahieren. Mit technischem Know-how kann jeder bei Google oben stehen und bei Technorati erscheinen. In der Blogosphäre werden die ständig neuen Artikel über den Grad der Vernetzung bewertet. Ein Ansatz, der auch von Googles Suchalgorithmen verfolgt wird und im Groben funktioniert, aber nicht immer die beste Lösung bietet.

Die dynamische Vernetzung des Web 3.0 bietet eine Emanzipation von Autor, Inhalt, Raum und Zeit durch die Trennung fester Bindungen und Bezüge. Bereits jetzt sind hochfrequentierte Blogs nicht mehr von einzelnen Autoren abhängig. Es bilden sich Autorenteams, wie das in Wikis bereits üblich ist, bei denen das Individuum hinter dem Projekt zurücktritt. In Zukunft lassen sich auch die Zusatzinformationen vom Inhalt mittels IPv6 (Internet Protocol Version 6) entkoppeln. Derzeit stehen mit IPv4 vier Milliarden IP-Adressen zur Verfügung. Mit IPv6 werden es 340 Sextillionen IPs sein. Mit diesem Protokoll ist es möglich, beliebigen Objekten eindeutige Zuordnungen zu geben. Jeder Artikel bekommt einen eigenen Platz im Internet, ein IP, gleiches gilt für jedes Bild, jedes Video, jeden Musikclip, jedes Profil eines Autors. Erst bei der Datenbereitstellung werden Inhalte zusammengeführt, wobei Zusatzinformationen Basis für eine Zusammenstellung sein können, aber nicht müssen. Bei Bedarf könnten sie für eine Sortierung, eine Kategorisierung, eine Zusammenstellung oder eine Auswertung kombiniert werden. Die Kriterien werden vom Autor bestimmt, der Berechtigungen und Schlagworte vergibt, aber erst die technischen Gegebenheiten und nicht zuletzt die Nutzer selbst bestimmen, wie die Auswertung erfolgt.

Durch diese Entkoppelung werden sich die Aufbereitung und die Verwertung von Inhalten und der Kommunikationsfluß verändern. Autoren schreiben Artikel nicht mehr in ein Blog, man bedient sich verschiedener Online-Dienste bei der Erstellung und Verwaltung und knüpft sie an beliebige Informationsknoten. Eine Zusammenstellung kann durch einen selbst oder einen unabhängigen Blog- oder Portalbetreiber erfolgen. Sie kann aber auch von jedem auf seinem Miniportal verwertet werden.

Wenn ­ dank IPv6 ­ alles eine eigene Zuordnung erhält, also jeder Artikel, jeder Autor, jedes Blog, jede Plattform autonome Adressen sind, die separat angesteuert und aufgerufen werden können, dann ermöglicht dies die optimale Verwertung, da in jedem Baustein nur die eigentliche Kerninformation vorhanden ist. Zusatzinformationen wie eine Verschlagwortung sorgen dann für Andockstellen im kontextuellen Bereich. Eine semantische Auswertung schafft eine neue Relevanz, und über die unabhängige Adressierung wird eine nahezu beliebige Kombinationsmöglichkeit geschaffen.

Wir sind auf dem Weg von starren Netzstrukturen hin zu fließenden Verbindungen, die sich bei Bedarf ständig neu aufbauen und finden. So könnten auf komplexe Fragen, für die bisher eine stundenlange Durchforstung der Suchmaschinenergebnisse erforderlich war, konkretere Antworten gegeben werden, indem nicht nur Texte, sondern eben komplette Datenbanken ausgewertet werden.

Sonja John

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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