Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Entdeckungsreise einer Unerwünschten

Eine eher ungewöhnliche Asylgeschichte erzählt Pawel Pawlikowski (My Summer of Love) in seinem Film Last Resort, der mit sechs Jahren Verspätung auch in unseren Kinos zu sehen ist. Die junge Russin Tanja hat sich ihre Ankunft in Großbritannien anders vorgestellt. Sie wartet am Londoner Flughafen zusammen mit Sohn Artjom auf ihren Verlobten Mark. Der taucht auch nach mehreren Telefonaten nicht auf, und die Flughafenangestellten werden langsam ungeduldig. Da beantragt Tanja unvermittelt politisches Asyl, damit sie und ihr Sohn in England bleiben können, bis sich die Sache mit ihrem Verlobten geklärt hat.

Der üblichen Prozedur des Asylbewerberverfahrens entsprechend werden sie in einem heruntergekommenen Auffangheim an der Küste, in Stonehaven, einquartiert, einer ehemaligen Ferienanlage. Und da haben sie auf Anweisung der Behörden auch zu bleiben. Jeder Versuch, nach London zu Mark zu gelangen, schlägt fehl, da der gesamte Ort von Überwachungskameras übersät ist. Und als der Verlobte endlich ans Telefon geht, löst sich der Traum von der Hochzeit in Luft auf; er hat es sich anders überlegt. Nun müssen Tanja und Artjom sich in die Situation fügen oder versuchen, wieder nach Rußland zu kommen. Nur: Ohne Geld und Pässe geht das nicht. Da taucht plötzlich der Spielsalonmanager Alfie auf, der sich in Tanja verliebt und ihr helfen will. Bald muß sie sich entscheiden, ob sie bei ihm bleiben oder nach Moskau zurückkehren will.

Der von der BBC in Auftrag gegebene Film zeigt in grobkörnigen Handkamerabildern, wie gnadenlos mit Asylbewerbern umgegangen wird, ohne jedoch zu moralisieren. Still und poetisch gelingt ihm die Verquickung zweier scheinbar gegensätzlicher Themen: Migration und Liebe oder doch Vernunft? Die Reise Tanjas zur „letzten Zuflucht" oder dem „letzten Urlaubsort", so die möglichen Übersetzungen des wunderbar zweideutigen englischen Titels, scheint für sie auch eine Reise zu sich selbst zu sein, der man erwartungsvoll folgt.

Ingrid Beerbaum

„Last Resort" läuft u.a. im fsk am Oranienplatz.

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