Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Datenbanken wecken Begehrlichkeiten"

Die Künstlerin und Netzpionierin Rena Tangens über Datenschutz in Zeiten der Terrorhysterie

Was verbindet den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, die Kultusministerkonferenz und die Philips GmbH? Sie sind am 20. Oktober mit einem Preis ausgezeichnet worden, den keiner haben will: dem BigBrotherAward. Seit 2000 verleiht der Bielefelder FoeBuD e.V. diese „Oscars für Überwachung", die Initiatoren Rena Tangens und padeluun lenken damit die Aufmerksamkeit auf Behörden und Unternehmen, die den Datenschutz mit Füßen treten. So wurde etwa die Kultusministerkonferenz für ihr Projekt einer Schülerdatenbank ausgezeichnet, während sich Philips den Preis mit CD-Brennern verdient hat, die eine Seriennummer auf den Rohling schreiben, anhand derer man zurückverfolgen kann, mit welchem Brenner eine CD kopiert wurde.

Wie war die Resonanz auf die BigBrotherAwards 2006? Wie werden sie von den Ausgezeichneten inzwischen wahrgenommen?

Die Resonanz beim Publikum bei der Verleihung war großartig, der Saal war mit an die 500 Leuten gepackt voll, die Medien haben breit berichtet. Die mit einem BigBrotherAward Ausgezeichneten wissen mittlerweile, daß sie diesen Preis nicht einfach weg-ignorieren können. Die Deutsche Bank, die gemeinsam mit der Hypo-Vereinsbank dieses Jahr für ihre Rolle bei SWIFT bedacht wurde, war sehr alarmiert. SWIFT gibt seit fünf Jahren die Daten aller Auslandsüberweisungen ­ auch solcher innerhalb Europas ­ an die amerikanischen Geheimdienste weiter. Deutsche Banken wußten davon, praktizierten vorauseilenden Gehorsam und ließen ihre Kunden ahnunglos.

Die BigBrotherAwards können recherchieren, Mißstände aufdecken und über gefährliche Technologien, folgenreiche Gesetzesänderungen oder unlautere Firmenpraktiken aufklären. Ändern wird sich daran aber nur etwas, wenn die Bürger ihren Unmut in Aktionen zur Veränderung umsetzen. Das können die BigBrotherAwards nicht stellvertretend für sie tun.

Im Schwarzbuch Datenschutz äußerst du die Hoffnung und siehst erste Anzeichen dafür, daß das Problembewußtsein für Datenmißbrauch wieder zunehme. Wie konnte es aber passieren, daß in der BRD, wo es noch vor 20 Jahren zu erbittertem Widerstand gegen eine Volkszählung gekommen war, das kritische Bewußtsein zwischenzeitlich einer derartigen Erosion ausgesetzt war?

Es hat wahrscheinlich mit der Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung nach 1989 zu tun, wo viele Menschen glaubten, daß gewalttätige Konflikte der Vergangenheit angehören würden und damit auch die Unterdrückung durch undemokratische Regierungen. Der totalitäre Überwachungsstaat à la 1984 von George Orwell schien völlig veraltet, stattdessen benahmen sich immer mehr Menschen wie die Kinder in Schöne Neue Welt von Aldous Huxley, die perfekt konsumieren und in der Schlafschule lernen, daß alles schon seine Ordnung hat.

Das kritische Bewußtsein ist insgesamt etwas erodiert. Zu Zeiten der Volkszählung war „der Feind" der allwissende Staat ­ das war ja auch einfach. Heutzutage verkaufen viele Menschen ihre Freiheit für ein Linsengericht, sie geben all ihre Einkaufsgewohnheiten gegenüber einem Konzern preis für sensationelle 0,5 Prozent Rabatt. Sie wollen einen winzigen finanziellen Vorteil genießen, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen ­ wenn dann mit den Daten etwas schiefgeht, rufen sie nach den Institutionen, daß sie ihnen helfen sollen. Aber wer meint, sich um diese Dinge keine Gedanken machen zu müssen, dem können weder Datenschutzbeauftragte noch Verbraucherschützer helfen.

Auf der anderen Seite werden heutzutage immer mehr Daten gesammelt, weil eine Vielzahl von alltäglichen Handlungen mittlerweile digitale Spuren erzeugen: Telefonieren mit digitaler Vermittlung statt Relaistechnik, Telefonieren mit Handy, mit EC-Karte bezahlen statt bar, Kundenkarten statt Rabattmarkenheftchen, im Internet recherchieren statt in der Bibliothek. Von daher hinterlassen wir an vielen Stellen eine Datenspur, und so viele Stellen sammeln Informationen über uns, daß die meisten Menschen gar nicht mehr wissen, wo sie anfangen sollen, sich zu wehren.

Vielen Menschen ist es keineswegs egal, was mit ihren Daten passiert. Mit den BigBrotherAwards liefern wir ihnen ganz konkrete Fälle, wo Widerstand angesagt ist.

Behörden und Unternehmen häufen einen unglaublichen Wust an Daten an. Werden die Datensammler über kurz oder lang am „Stasi-Syndrom" krepieren, also einem letztlich unauswertbaren Daten-Müllhaufen gegenüberstehen? Oder besteht diese Hoffnung angesichts gegenwärtiger Technologien nicht?

Nein, die Menge, die bei Karteikarten zu einem Problem werden kann, ist bei Datenbanken keines mehr. Spezialisten im Datamining macht „Müll" überhaupt nichts aus ­ im Gegenteil, je mehr Daten aus unterschiedlichen Quellen über jemanden vorliegen, desto besser kann dieser Mensch identifiziert und eingeschätzt werden. Wer nicht glaubt, daß es möglich ist, aus Terrabytes von gemischten Daten relevante Informationen herauszufiltern, sollte einfach mal kurz an eine Suchmaschine wie Google denken...

Was würdest du einem sogenannten Durchschnittsbürger in der Kneipe sagen, der meint, er habe ohnehin nichts zu verbergen und mit Videokameras könne man doch Bankräuber und Terroristen ausfindig machen?

Der Spruch von wegen „nichts zu verbergen" wird meist schnell revidiert, wenn dann konsequenterweise Einblick in den Einkommenssteuerbescheid, Bankkonto, private Briefe oder eine im Schlafzimmer installierte Videokamera (weil doch so viele Vergewaltigungen in Schlafzimmern passieren) gefordert wird. Wer sagt, daß er nichts zu verbergen habe, zielt damit eigentlich immer auf andere ­ von denen nämlich fordert er, daß sie sich überwachen lassen und gibt damit gleichzeitig das Versprechen, daß er sich auch in Zukunft stets anpassen wird.

Informationen, die wir einmal preisgegeben haben, können wir nicht mehr zurückholen. Datenbanken, die einmal existieren, wecken stets Begehrlichkeiten, was mit diesen Daten noch so alles angestellt werden kann. Und Demokratie ist nichts Naturgegebenes. Die technischen Überwachungsmöglichkeiten und die bereits existierenden Datenbanken über alle Bürgerinnen und Bürger würden nicht nur Erich Mielkes Herz höher schlagen lassen...

Wie gehst du mit deiner Kenntnis von Gefahren und Fallen im Alltag um? Welche praktischen Vorsichtsmaßnahmen hast du dir angewöhnt?

Ich zahle fast immer bar, so habe ich auch einen besseren Überblick über mein Konto. Bei den Händlern auf dem Wochenmarkt habe ich Kredit auch ohne Kreditkarte ­ persönliches Vertrauen statt Scorewertabfrage. Ich habe keine Kundenkarten. Ich fahre gerne Bahn und habe eine Bahncard ohne Foto und ohne Angabe des Geburtsdatums. Ich verschlüssele alle wichtigen E-Mails und nutze TOR zum anonymen Surfen im Internet.

Aber mit dieser Art Tips zum Selbstschutz ist es nicht getan. Es kann nicht sein, daß jede und jeder Einzelne bei jeder Gelegenheit ständig auf der Hut sein muß, sondern wir müssen uns dafür einsetzen, daß datenschutzfreundliche Technik und Geschäftsbedingungen Standard für alle werden. Um das zu erreichen, müssen wir auf einer anderen Ebene ansetzen: bei der Gesetzgebung, bei den Geschäftsusancen der Firmen und beim Umgang miteinander.

Du forderst im Schwarzbuch eine „datenschutzfreundliche Technik". Wie utopisch ist eine solche Technik? Welche Voraussetzungen müßten geschaffen werden?

Es gibt bereits einige Beispiele, wo Technik als Hilfsmittel für die Wahrung der Privatsphäre sorgt. Z.B. das E-Mail-Verschlüsselungsprogramm PGP, mit dem wir unsere elektronische Post mit einem Briefumschlag gegen neugierige Mitleser versehen können, oder die Anonymisierungsdienste JAP und TOR, mit deren Hilfe wir anonym im Internet surfen können.

Mit einer anderen Technikgestaltung meine ich aber etwas Weitergehendes, nämlich, daß die Technik selbst darauf angelegt ist, keine unnötigen Daten zu erfassen. Es muß nur der Wille da sein, Datenvermeidung auch als ein Designkriterium zu verankern. Daten zu vermeiden ist viel wirksamer als gesammelte Daten zu schützen. Es ist ähnlich wie beim Müll: Es ist für die Umwelt auch deutlich besser, Müll zu vermeiden, als ihn aufwendig fürs Recycling zu sortieren.

Ein Schwerpunkt eurer Kampagnenarbeit richtete sich zuletzt gegen die RFID-Chips, mit denen die Industrie den Barcode ersetzen will.

Eine Lektion haben wir durch den Metro-Skandal gründlich gelernt: Der Wirtschaft ist nicht zu trauen. Die Metro AG hatte in der Payback-Kundenkarte ihres Extra-Marktes in Rheinberg einen RFID-Chip versteckt, mit dem diese geortet werden konnten. 10000 Kundinnen und Kunden hatten einen solchen Schnüffelchip in ihrem Portemonnaie ­ ohne ihr Wissen. Der FoeBuD hat den Chip in der Karte Anfang 2004 entdeckt und öffentlich gemacht. Metro mußte daraufhin die gechipte Payback-Karte zurückziehen.

Seitdem ist ­ bei jedem Kongreß, bei jeder Anhörung, wo es um RFIDgeht ­ auch Datenschutz ein Thema. Das ist sicherlich ein Verdienst des FoeBuD und der StopRFID-Kampagne. Anderthalb Jahre lang saßen FoeBuD-Mitglieder regelmäßig mit am runden Tisch des Bundeswirtschaftsministeriums, bis im Januar 2006 endgültig klar wurde, daß die RFID-Industrie eine reine Hinhaltetaktik verfolgt und ihr „Positionspapier RFID/EPC und Datenschutz" weder Schutz für die Verbraucher, noch ernsthafte Verpflichtungen, Kontrollen oder gar Sanktionsmöglichkeiten gegenüber der Industrie beinhaltet. Ungefähr zeitgleich hat die RFID-Lobby ihr „Informationsforum RFID" in der Dorotheenstraße in unmittelbarer Nähe des Reichstages in Berlin eröffnet und wirkt von dort direkt auf Politkerinnen und Politiker ein. Geschäftsführerin des Informationsforums ist Dr. Andrea Huber, Ex-Director for Governmental Affairs bei Microsoft Deutschland.

Worauf die Verbraucher sich also einstellen müssen: ein PR-Dauerfeuer für die Funkchips, die keiner will ­ außer RFID-Industrie, Handel und dem Innenminister. Eine vertrauliche Marketing-Studie der RFID-Industrie prognostizierte übrigens schon 2002, daß informierte Verbraucher RFID-Chips mehrheitlich ablehnen. Die Studie empfiehlt als Strategie, stets zu sagen, daß diese Technik „sowieso kommt", dann würden die Verbraucher „apathisch" und sich nicht mehr wehren.

Unter den Preisträgern sind in diesem Jahr die Kultusministerkonferenz, die Innenministerkonferenz und der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung geht augenblicklich fast alles. Was will man noch alles erreichen, solange das Terror-Argument zieht?

„Reagierten wir auf den Treibhauseffekt so hysterisch wie auf Terror, liefen wir alle mit Schwimmwesten herum", schrieb Ilja Trojanow kürzlich. Sehr wahr. Gegen die Terrorhysterie hilft nur, klaren Kopf behalten und Stop sagen. Die meisten eingeleiteten Maßnahmen sind für den vorgeblichen Zweck unwirksam, haben aber höchst gefährliche Nebenwirkungen. Schüler-Ids helfen nicht gegen Bildungsnotstand, Videokameras stoppen keinen Attentäter, die Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikationsverbindungen betrifft keineswegs nur Kriminelle, sondern über 80 Millionen unbescholtene Bundesbürgerinnen und -bürger. Das müssen wir vermitteln. Und den Irrsinn hinter dem Populismus einiger Überwachungsfanatiker sichtbar machen.

Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, wir hätten demnächst eine Bundesregierung, die den Datenschutz hochhält. An welche Grenzen würde die stoßen? Was ist überhaupt noch im nationalstaatlichen Rahmen zu regeln?

Als allererstes müßte eine Bundesregierung, die es mit Freiheit, Bürgerrechten und der Bewahrung des Rechtsstaates ernst meint, sich an die eigene Nase packen und eine ganze Menge Gesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, rückgängig machen. Ein Teil der Liste findet sich bei den Gewinnern der BigBrotherAwards seit 2000. Dann müßte sie sich kritisch der Datensammelwut und den Geschäftspraktiken der Wirtschaft widmen und im Bundesdatenschutzgesetz zum einen wirksame unabhängige Kontrollen der Unternehmen, zum anderen empfindliche Sanktionen für Vergehen einführen. Wenn wie bisher nur eine Rüge ausgesprochen wird, lachen sich Konzerne doch ins Fäustchen und machen weiter wie bisher.

Wenn Deutschland es tatsächlich ernst meinte mit den Bürgerrechten, dann hätte es auch eine gewichtige Stimme innerhalb der EU. Und auch mit nationaler Gesetzgebung läßt sich eine Menge ausrichten, denn Firmen, die in Deutschland Business machen wollen ­ und das sind viele ­ müssen sich dann eben auch an die hier geltenden Gesetze halten. Irgendwo muß man anfangen. Alles andere ist Ausrede für Nichtstun.

Interview: Florian Neuner

Rena Tangens & padeluun (Hg.): Schwarzbuch Datenschutz. Ausgezeichnete Datenkraken der BigBrother Awards.Edition Nautilus, Hamburg 2006. 13, 90 Euro

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