Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Fahren, Feiern, Flüchten

Endlich kommen scharenweise Fahrgäste ­ doch die S-Bahn will sie nicht

Daß es Spaß bereiten kann, abends mit einigen Freunden betrunken S-Bahn zu fahren, diese Erfahrung haben in Berlin schon viele gemacht. So ist die große Beliebtheit auch kaum verwunderlich, der sich seit einiger Zeit sogenannte S-Bahnpartys erfreuen. Die Idee ist denkbar einfach: Bis zu mehrere hundert Leute treffen sich mit Bierkisten und Kassettenrekordern bewaffnet am Bahnsteig, kapern einen Wagen der Ringbahn und umrunden feiernd die Innenstadt. Beworben wird das Ganze übers Internet, SMS-Verteiler und Stadtmagazine.

Die S-Bahngesellschaft ist von diesen ungebetenen Gästen allerdings nicht begeistert. „Das ist Mißbrauch öffentlicher Verkehrsmittel", empört sich Pressesprecher Gisbert Gahler. Die S-Bahn sei schließlich nicht zum Feiern da, sondern um von einem Punkt zum anderen zu kommen. Wer ernsthaft vorhabe, in der S-Bahn eine Feier zu veranstalten, der könne sich schließlich die, ansonsten für Touristenfahrten eingesetzte, „Panorama-Bahn" mieten. Die gibt es laut Internetseite der S-Bahngesellschaft schon für 1068 Euro pro Stunde; dafür allerdings mit Bar und Toilette ­ was ein enormer Vorteil sein dürfte. Das fehlende Klo wurde denn auch der bisher größten Berliner S-Bahnparty Anfang des Jahres zum Verhängnis. Damals gelang es rund 300 Jugendlichen, ungehindert eine Bahn zu entern. Das Problem tauchte auf, als nach halber Umrundung des S-Bahnrings die ersten von ihnen austreten mußten: Ein Teil der Feiernden hielt auf dem Bahnsteig die Türen offen, während der andere den Bahnhof verließ, um pinkeln zu gehen. Die während dieser Verzögerung herbeigeeilte Polizei versuchte daraufhin, den Zug zu räumen. Dabei soll es zu Sachbeschädigungen und Flaschenwürfen gekommen sein, die nun als Begründung für die massiven Polizeieinsätze der letzten Zeit bei geplanten kollektiven S-Bahnfahrten dienen.

„Bei diesen Parties ist immer viel Alkohol im Spiel", meint Gahler, „und dann gibt es eben häufig Sachbeschädigungen." Und bei bis zu mehreren hundert Partygästen sei der Sicherheitsdienst der S-Bahn leicht überfordert, ergänzt Bundespolizei-Pressesprecher Jörg Kunzendorf. Weil die Termine aber vorher im Internet angekündigt worden seien, sei man vorgewarnt gewesen und hätte bei den letzten S-Bahnpartys genug Beamte heranziehen können.

Ein entsprechendes Szenario bot sich dann auch den Gästen einer Party, die Mitte September in Tempelhof beginnen sollte. Wer den Treffpunkt mit der Ringbahn erreicht hatte, blieb beim Anblick des Bahnsteiges entweder gleich sitzen und fuhr weiter oder stieg aus und verließ schnellen Schritts und unter den skeptischen Blicken von rund 200 Polizisten in Kampfmontur den Bahnhof. Wer sich der Haltestelle zu Fuß näherte und für einen potentiellen Partygast gehalten wurde, durfte den Bahnhof nicht betreten. „So ein Unsinn, das ist doch völlig überzogen", beschwerten sich Partygänger bei der Polizei. „Die sollen lieber arbeiten gehen", schnaubte ein Punker, bevor er sich mit seinen Freunden und der mitgebrachten Sternburg-Kiste an der nahegelegenen Bushaltestelle niederließ. Dort sammelten sich einige der Partyinteressierten, um ihre Getränke zu leeren, bevor sie sich auf den Heimweg machten ­ zu Fuß versteht sich.

Ähnlich erging es eine Woche später den Besuchern eines Konzerts der Band Zaungäste. Sie hatten angekündigt, in der Ringbahn zu spielen. „Draußen ist es im Herbst einfach zu naß und zu kalt, außerdem haben wir noch nie von einem Konzert in der Bahn gehört", begründen sie ihre Entscheidung. „Unser Anliegen", ergänzen sie, „ist natürlich auch Aufstand gegen die Bürgerlichkeit und Protest gegen die überhöhten Fahrpreise. Wir wollen etwas Spaß und Anarchie in die graue Kulisse des Alltags bringen." Der Plan ging aber nicht ganz auf: Zwar war der Treffpunkt am belebten Ostkreuz wesentlich günstiger als der in Tempelhof, der Polizei gelang es aber auch hier, potentielle Konzertbesucher ­ und vor allem die Band ­ ausfindig zu machen. Ergebnis war eine Traube von knapp 100 Menschen vor dem Eingang des Bahnhofs, die kurzerhand zum Boxhagener Platz zog, um dort das Konzert nachzuholen.

Es sei zu erwarten gewesen, daß die Partygäste gegen die Hausordnung der S-Bahn verstoßen würden, verteidigt Polizeisprecher Kunzendorf das harte Vorgehen. „Diese Leute wollten offenbar nur feiern und hatten keine Reiseabsichten", begründet er sein Urteil.

Daß dieser Vorwurf jedoch nicht auf alle S-Bahnpartys zutrifft, machten Aktivisten der Kampagne „Berlin Umsonst" bereits im vergangenen Jahr deutlich. Unter dem Motto „Bildet Fahrt- und Partygruppen ­ Kontrollettis zum Pausieren bringen" versuchten sie ihre „Reiseabsicht" der besonderen Art mit den S-Bahnpartys zu kombinieren: Sie nutzten die Masse feiernder Leute zum kollektiven Schwarzfahren. Etwas anders gehen da die Leute des Projektes Tanzguerilla ran. Sie haben sich vorgenommen, an öffentlichen Orten zu tanzen, an denen das normalerweise niemand macht. Die S- und U-Bahnen Berlins gehören natürlich auch dazu. Neben dem Spaß am Tanzen geht es ihnen aber auch um den „Erhalt öffentlicher Räume, gegen ihre Privatisierung und Überwachung", wie sie in einer Selbstdarstellung verkünden.

Die S-Bahnpartys scheinen also eine Art Gemeinschaftsprodukt zu sein. Entstanden aus einer Partyszene, die einfach an möglichst ausgefallenen Orten feiern möchte sowie aus kulturellen und politischen Initiativen, deren Anliegen es ist, in Umstrukturierungsprozesse öffentlicher Räume einzugreifen und sie zum Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zu machen. Feiern als Protest – genau diese Mischung scheint die S-Bahnpartys so attraktiv zu machen. Nun gab es schon eine Reihe von Ausdrucksformen, die als kreative Aktionen begannen und schließlich zu kommerziellen Zwecken vereinnahmt wurden. So geschehen z.B. mit dem vor einiger Zeit noch vielgerühmten „Flashmob", bei dem es darum ging, einen scheinbar spontanen Menschenauflauf in der Öffentlichkeit zustandezubringen und zu dem gelegentlich in Foren-Beiträgen über S-Bahnpartys Parallelen gezogen werden. Dank der äußerst abweisenden Haltung der S-Bahngesellschaft stellt sich dieses Problem für die S-Bahnpartys im Moment nicht. Die partywütigen Fahrgäste sind eher beschäftigt, sich Tricks einfallen zu lassen, um die Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen. Aber dazu sind sie sicherlich kreativ genug.

Philipp Mattern

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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