Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Beten ist ein sehr intimer Akt"

Muslimische Gemeinden luden zum Tag der offenen Tür

Wer mit dem Würstelbuden-Einheitsfest am Brandenburger Tor nichts anzufangen weiß, kann den 3. Oktober natürlich auch zum Ausschlafen, Staubsaugen oder Fernsehen nutzen. Eine Gelegenheit, etwas neues kennenzulernen, bot dagegen die Einladung des Zentralrats der Muslime in Deutschland, einige ausgewählte Moscheen und angeschlossene Kulturvereine zu besuchen. Allein in Berlin öffneten diesmal 15 Gebetshäuser ihre Türen und lockten vermutlich auch wegen des allseits bekannten Papstzitats und des immer noch schwelenden Karikaturenstreits. Da der diesjährige 3. Oktober genau in den muslimischen Fastenmonat Ramadan fiel, luden die Vereine denn auch zum Iftar ein, dem gemeinsamen Fastenbrechen nach Sonnenuntergang.

Die Weddinger Bilal-Moschee versteckt sich auf einem Hinterhof der Drontheimer Straße in einer vierstöckigen Mietskaserne. Durch eine schmucklose Tür, an einer Gruppe Jugendlichen vorbei, die sich untereinander mit „Salam alaikum" (Friede sei mit dir) grüßen, betritt man den sehr kleinen Vorraum. Nach der für Gläubige pflichtgemäßen rituellen Reinigung der Füße, Hände, Arme und des Nackens geht es in den mit Teppich ausgelegten Gebetsraum. Der fünfzehn Meter lange, holzvertäfelte Raum ist fast korrekt nach Mekka ausgerichtet: An der südöstlichen Wand befinden sich die Mihrab (Gebetsnische) und die kleine Mimbar (Kanzel) für das Freitagsgebet. Gegenüber steht ein Regal mit Ausgaben des Korans und Hadithen (Überlieferungen des Tuns und Handelns des Propheten). Zum Gebet sammeln sich die Frauen im hinteren Teil, die Männer stehen direkt hinter dem Imam (Vorbeter) in der Gebetsnische.

In wechselnden Vorträgen wurden den Besucher die FAQs des Islams beantwortet. Fragen wie: „Müssen kranke Menschen auch fasten?" oder „Wie werden Speisen, ohne zu kosten, gewürzt?" Hochglanzplakate erklärten die „Stellung der Frau" und „Was sagt der Islam über Krieg" .

Die Moschee dient allerdings nicht nur religiösen Zwecken. Die zwei Hauptnutzer, eine deutschsprachige und eine indisch-pakistanische Gemeinde, bieten in den Räumen Arabisch- und Deutschkurse sowie Nachhilfeunterricht und eine Kinderbetreuung an. Der hohe Anteil an deutschstämmigen, d.h. konvertierten Muslimen, konnte die teilweise vorhandenen Unsicherheiten abbauen.

Weitere Eindrücke boten sich auf der Terrasse der ¸Sehitilik-Moschee am Columbiadamm, neben dem ältesten muslimischen Friedhof Berlins, wo Besucher die Live-Diskussion aus dem ­ natürlich ­ nach Mekka ausgerichteten Bau verfolgen oder einfach nur das prächtige Bauwerk bewundern konnten. Im osmanischen Stil des 16./17. Jahrhunderts gehalten, mit weißen Bleistiftminaretten und basaltfarbener Kuppel, ist das vor zwei Jahren eröffnete Gebetshaus das genaue Gegenteil einer „Hinterhofmoschee".

Wer an der Führung im oberen Teil der Moschee teilnahm, wurde von jungen arabisch- oder türkischstämmigen Muslimen mit den Worten: „Bei uns ist jeder Tag ein Tag der offenen Tür. Kommen Sie vorbei, besuchen Sie unsere Internetseite", begrüßt. Ausführlich wurden die arabischen Kalligrafien und die Inneneinrichtung mitsamt Brauchtum erläutert.

Nach den Führungen berichteten die jungen Muslime aus ihrem Alltag: von geschockten Eltern, als sie vom Entschluß der Tochter erfuhren, mit dem Kopftuch zu leben, vom Essen und Fasten im Ramadan und von den Schwierigkeiten, mit einem Kopftuch in Köpenick zu wohnen. Es wurde auch geschildert, wie der einzelne Gläubige das Fasten am Abend bricht: „Der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm, aß eine Dattel, andere trinken ein Glas Wasser, nehmen eine Prise Salz oder zünden eine Zigarette an."

Viele Besucher fragten nach den Ursachen für die strikte Trennung der Geschlechter. „Beten ist ein sehr intimer Akt, von dem ich nicht abgelenkt werden möchte", antworteten die jungen Muslima. Auch aktuelle Fragen der Besucher wurden beantwortet: „Die Trennung der Geschlechter im Schwimmunterricht ist unnötig, da in der dritten Klasse noch keine Geschlechtsreife vorliegt." „So wie auch eine Unterrichtsbefreiung vom Kunst- und Biologieunterricht nicht notwendig ist", da „der Gläubige eine Pflicht hat, nach Wissen zu streben", solange die Lehrer sensibel mit dem Thema umgehen und keine Aussagen wie „Sex ist die schönste Sache im Leben" treffen.

So offen und tolerant der Umgang an diesem Tag gepflegt wurde, ist der Islam für die meisten Besucher immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Speziell wenn Islam-Kritiker darauf verweisen, daß für orthodoxe Muslime zwar das Streben nach Wissen im Koran verankert ist, aber „alles Wissen im Koran steht". Die muslimische Anwältin Sibel Eraslan hat geweint, als sie zum ersten Mal in Mekka gesehen hat, wie Männer und Frauen gemeinsam beten und um die Kaaba laufen: „Es gibt doch keine heiligere Stelle für uns."

Sebastian Maria-Stein

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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