Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nicht mit erhobenem Arm durch die Straße

Im FDP-Ortsverband Hermsdorf wird allerhand Schmutzwäsche gewaschen

Einen härteren Vorwurf kann man in Deutschland eigentlich nicht erheben: Antisemitismus. Zuerst war er nur einer beschränkten Öffentlichkeit bekannt, doch dann ging Udo Hagemann in die Offensive und informierte die Lokalpresse und ein Fernsehmagazin, das die Anschuldigungen bundesweit verbreitete. Und die hatten es wirklich in sich: Ende letzten Jahres habe man ihn freundlich in den FDP-Ortsverband Hermsdorf/ Tegel aufgenommen, aber „dann kam heraus, daß ich Jude war, und dann wurde absolut nicht mehr mit mir gesprochen, und die Stimmung kippte von der einen zur anderen Minute. Ich wurde diffamiert, mir wurden Worte wie Judenarsch gesagt, ich wurde bezeichnet mit schlimmen Worten, ich wurde geschnitten, und hintenrum wurde äußerst stark antisemitisch gepoltert," erinnerte sich Hagemann in der Sendung.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte Gero Pischke, seinerzeit Mitgliederbetreuer. Er hatte Hagemann in den Ortsverband aufgenommen und dem Vorstand offenbart, daß er Jude sei. Nach Pischkes Angaben rumorte es seitdem, fielen immer wieder antisemitische Äußerungen, die er zuerst noch als Nekkereien abzutun gewillt gewesen sei. Aber dann soll am Telefon der Ausdruck „jüdischer Großkotz" gefallen sein, und man soll sich geweigert haben, „das Judenhaus", also Hagemanns Wohnung, zu betreten. Am 9. Januar legte Pischke sein Amt nieder, allerdings ohne Hinweis auf antisemitische Tendenzen im Ortsverband ­ um Schaden von der Partei fernzuhalten, erklärt Pischke nun. In einer E-Mail an die „Parteifeindinnen und Parteifeinde" rüpelte er zunächst lediglich über die schlechte Performance der Ortsverbandsmitglieder. Erst später, nach einem Gespräch mit Hagemann, habe er den Vorwurf antisemitischer Tendenzen im Ortsverband öffentlich geäußert. „Nachgeschoben" sei der, werfen ihm seine Gegner vor, um ihn für seine Auseinandersetzung mit den „Parteifeinden" zu instrumentalisieren.

Die Sitten in diesem Ortsverband sind rauh. Die Sitzung am 9. Januar wurde heimlich auf Tonband mitgeschnitten. Bloß von wem? Pischke leugnet jegliche Beteiligung an dieser Aktion und verweist auf die beiden Frauen im Vorstand, die schon häufig aneinandergeraten seien. Auch um die Domain fdp-hermsdorf.de gibt es Streit: Hagemann hatte sie für den Ortsverband gesichert, sie nun allerdings in ein „Forum für Freunde des Judentums und der Nicht-Rassisten" umgewandelt. Die Partei will sie nun wiederhaben und bemüht die Justiz.

Daß sich Hagemann nach seinem Parteieintritt nicht nur beliebt gemacht hat, dafür gibt es zahlreiche Hinweise. Freund und Feind berichten, daß er forsch und drängend aufgetreten sei und damit vielleicht Abwehrreaktionen der alteingesessenen Mitglieder ausgelöst habe. Ebenfalls unbestritten ist, daß Hagemann und Pischke im Februar den Vorstand loswerden wollten, den der eine für unfähig, der andere für antisemitisch hielt. Doch da, wie vermeldet wurde, Hagemann kurz vorher selbst Mitglieder geworben habe, sei vermutet worden, er habe den Ortsverband „übernehmen" wollen. Diese Umstände deuten auf einen Machtkampf hin, den Hagemann verloren hat.

Dann waltete der Landesvorsitzende Markus Löning seines Amtes und setzte eine Untersuchungskommission ein. Doch ihre Arbeit war von Anfang an mit einem Makel behaftet, weil ihr Vorsitzender, der Spandauer FDP-Mann Karl-Heinz Bannasch, schon bald unter Protest sein Amt niederlegte: Löning habe sich eingemischt, eine unabhängige Aufklärung der Vorgänge sei unter diesen Umständen nicht möglich. Inzwischen ist die Kommission zu einem Ergebnis gekommen, das vom Landesvorstand geprüft wird.

Auf das Ergebnis darf man gespannt sein, denn der Sachverhalt bleibt unklar. Am 9. August telefonierte Löning mit der ehemaligen Vorsitzenden und forderte sie mit Schreiben vom 11. auf, ihm schriftlich zu bestätigen, daß „Sie nie antisemitische Äußerungen aus dem Ortsvorstand gehört haben und Sie von daher weder Grund gehabt hätten, sich zu entschuldigen, noch dies getan hätten." Doch die schrieb am 14. einen Brief an Hagemann und Pischke, in dem sie sich entschuldigte und „von den Machenschaften des Ortsvorstandes" distanzierte. Darüber hinaus bezichtigte sie den Vorstands-Vize, gesagt zu haben, Hagemann habe mit seinem Eintritt in die FDP „nur seine jüdische Profitgier befriedigen" wollen. Man habe sie unter Druck gesetzt, weil sie Hagemann aufgenommen hätte, obwohl er Jude sei. Inzwischen hat sie die eine oder die andere Aussage oder beide widerrufen, und beide Seiten gehen davon aus, daß die jeweils andere Seite sie erpreßt habe.

Und so eskalierte und verselbständigte sich der Konflikt, eidesstattliche Versicherungen wurden abgegeben, Rechtsanwälte und Gerichte bemüht. Die Hauptbeteiligten wollen sich nicht äußern, bis die gegenseitigen Vorwürfe gerichtlich geklärt sind. Einer der Beschuldigten hat gegen Hagemann eine Unterlassungserklärung erwirkt, der dieser nicht widersprochen hat; er darf nun nicht mehr behaupten, daß jener „jüdischer Großkotz" über ihn gesagt habe. Hagemann indes fühlt sich weiterhin im Recht und gibt an, sich lediglich nicht gewehrt und die Frist verstreichen lassen zu haben. Umgekehrt hat er mehrere Vorstandsmitglieder wegen Volksverhetzung angezeigt.

Trotz alledem könne man nicht sagen, daß die FDP Hermsdorf/Tegel antisemitisch sei, meint Hagemann, allerdings werde innerhalb der Partei immer mehr Nazi-Propaganda verbreitet, vermutlich von NPD-Anhängern, die sich einschlichen. Auch Pischke will den Vorwurf nicht so pauschal erheben: Die FDP sei nicht antisemitisch, schließlich renne niemand mit erhobenem Arm durch die Straße, und solche Sprüche gebe es auch in anderen Parteien. Aber eine latent antisemitische Grundhaltung sei vorhanden.

Vielleicht nicht nur latent: Bei der Rückbenennung der Spandauer Jüdenstraße 2002 tönte es „Juden raus" und ähnliches aus dem bürgerlichen Publikum, als der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde eine Rede halten wollte. In Spandau wohlgemerkt, nicht Hermsdorf. Aber warum sollte die FDP im Norden frei von derartiger Klientel sein? Bei aller Vorsicht: Einerseits hat sich Hagemann durch sein Verhalten bei den alteingesessenen Parteifreunden nicht beliebt gemacht, weil die sich von seinem Eifer überfahren fühlten, und der Antisemitismus-Vorwurf wurde wohl gezielt in die Auseinandersetzung eingebracht. Andererseits deuten die Indizien darauf hin, daß er nicht vollständig aus der Luft gegriffen zu sein scheint.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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