Ausgabe 09 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Niemand hat die Absicht ...

In Berlin-Spandau, inmitten eines alten Industriegebietes zwischen Fabrikschornsteinen und Förderbändern, befindet sich die Motardstraße. Dort betreibt die Arbeiterwohlfahrt (AWO) seit Jahren die Zentrale Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Wegen der sinkenden Zahl von Asylbewerbern ist die für 750 Personen ausgestattete Einrichtung seit Jahren nicht ausgelastet.

Flüchtlingsinitiativen und Antirassismusgruppen schlagen jetzt Alarm. Sie fürchten, daß in der Motardstraße still und heimlich Berlins erstes sogenanntes Ausreisezentrum entsteht. In den derart euphemistisch bezeichneten Einrichtungen werden nach Paragraph 1a des Asylbewerberleistungsgesetzes geduldete Migranten untergebracht, denen die Behörden vorwerfen, lediglich aus finanziellen Gründen nach Deutschland eingereist zu sein. Die „freiwillige" Ausreise soll durch erhöhten Druck erzwungen werden. Die rot-rote Koalition hatte noch in der alten Koalitionsvereinbarung die Errichtung eines Ausreisezentrums in Berlin ausgeschlossen.

Ein Senatssprecher bestätigt nun, daß in dieser Einrichtung Flüchtlinge untergebracht werden, „für die die Voraussetzungen des Paragraph 1a des Asylbewerberleistungsgesetzes erfüllt sind." Allerdings wollte der Senat nicht von einem Ausreisezentrum sprechen. „Für die Unterbringung in der Motardstraße ist nicht die Vollziehung der Ausreisepflicht, sondern allein die Erfüllung der Voraussetzungen des Asylbewerberleistungsgesetzes entscheidend."

Für den Antirassismus-Aktivisten Frank Schlögel handelt es sich dabei um Wortklauberei: „Die Flüchtlinge sollen dazu gebracht werden, das Land selber zu verlassen. Sie werden in den Einrichtungen nur mit dem Überlebensnotwendigen versorgt." Etwa 100 Bewohner fallen mittlerweile unter diese Kategorie.

Die AWO als Betreiber sieht sich für Fragen nach einem Ausreisezentrum als falscher Adressat. „Da müssen Sie sich an den Senat wenden", meinte AWO-Pressesprecher Renner in einem Gespräch vor Ort. Renner betonte, die AWO würde die Insassen des Heimes korrekt versorgen. Vorwürfe über schlechtes Essen könne er nicht nachvollziehen. Flüchtlingsorganisationen kritisieren das eingeschränkte Angebot der Cateringfirma Dussmann mit Essenspaketen. Die Flüchtlinge wollen selber einkaufen und kochen. „Bargeld statt Essenspakete" lautet die Forderung des Bündnisses antirassistischer Gruppen und Flüchtlingsinitiativen. Darüber hinaus sollen die Bewohner in eigene Wohnungen ziehen können.

Peter Nowak

Weitere Informationen:

www.chipkartenini.squat.net

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 09 - 2006 © scheinschlag 2006