Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Erik Irmer

Orte, zu denen die meisten Fahrgastkähne nicht vordringen

Ein unprätentiöser Fotoband über die Wasserstadt Berlin

AHOI Berlin von Jan Schreiner ist ein wundervolles Buch, ein Bildband, der Berlin nicht als die größte und schönste Hauptstadt unserer Republik, als ein Ort der Attraktionen und Sensationen präsentiert. Die Schwarzweißfotos wurden von Schreiner sämtlich vom Boot aus gemacht, während er auf den Wasserstraßen der Stadt unterwegs war. Die Bilder wirken schlicht, unprätentiös und strahlen häufig eine entspannte Ruhe aus, „eine Stille, die", wie es im Vorwort heißt, „sich entgegengesetzt zum Medienkanon verhält, der die Stadt permanent als Brennpunkt und Durchlauferhitzer" herbeiphantasiert. Wegen der Qualität des Bandes erscheint es umso ärgerlicher, daß man ihn (nachdem der herausgebende Verlag eingegangen ist) nicht mehr einfach im Buchladen bestellen kann; man muß schon im Netz bei amazon oder dem ZVAB nach AHOI Berlin fahnden.

Das Buch erschien schon 1999; so ist an der Stelle, wo man heute einen Blick auf das Kanzleramt hat, nur ein häßlicher Bauzaun zu sehen, ein Bild zeigt einen von Kränen umwucherten Reichstag, ein anderes den Osthafen noch in Betrieb. Überhaupt waren es weniger die Repräsentationsbauten, die Schreiner interessierten, eher Orte, zu denen die meisten Fahrgastkähne nicht vordringen. Er bringt ein Bild von Berlin zum Vorschein, wie es ein Tourist, aber auch ein Einheimischer nur äußerst selten zu sehen bekommt (oder einfach übersieht). So folgen im Buch auf ein Foto des Doms die Aufnahmen eines zugewucherten Idylls, eines heruntergekommenen Speichers und von rotten Kaianlagen.

Die Bilder treten so in einen Dialog miteinander. Zu bewundern sind neben herausgeputzten Prachtbauten auch viele schmuddelige Industrieanlagen: die zahlreichen, wenig fotogenen Häfen der Stadt mit ihren mächtigen Silos und Tanks, Werften, Schleusen, Brücken, Kanäle, Fabrikgebäude und Bootsschuppen. Man sieht rostige Tanker beim Verladen, Kähne voller Schrott und Kohle, Feuerlösch- und Hausboote. Oder auch mal ein paar Gänse am Ufer, eine verrammelte Gartenlaube oder einen badenden Lastkahnschiffer. Dazu gibt es ein paar wenige, wenn nötig erklärende Worte.

Das letzte Bild des Bandes zeigt einen aus der Spree ragenden Brückenpfeiler, letztes Überbleibsel der zerstörten Brommy-Brücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg, drangepappt ein Schild mit einem Pfeil, der nach links weist, wie als Aufforderung, das Buch noch einmal von hinten nach vorn durchzublättern. Und das tut man dann auch gern.

Gertrude Schildbach

Jan Schreiner: AHOI Berlin. Hauptstadt am Wasser – Bauten, Schiffe, Häfen Brücken. Welz Verlag, Berlin 1999

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