Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Ich will die Gesellschaft mitgestalten ­ von mir aus auch die ganze Welt"

Rainer Wieczorek über den Kunstbetrieb und sein ehrgeiziges Stiftungsprojekt „KUNSTdemokratie"

In seiner Galerie in der Neuköllner Flughafenstraße sitzt der Maler Rainer Wieczorek bereits auf gepackten Koffern. Anfang 2005 eröffnete er in diesen Räumen seine Produzentengalerie, die Arbeit wird im November unweit davon, in der Reuterstraße fortgesetzt. Die Gründung dieser Galerie war ein erster Schritt in Richtung Selbstorganisation, die Wieczorek, der sich vom Kunstbetrieb mißachtet fühlt, für absolut notwendig erachtet. Doch die Produzentengalerie ist, wenn es nach dem 1956 geborenen Künstler geht, nur der Anfang. Im Neuköllner Kiez arbeitet er an hochfliegenden Plänen, möchte eine Stiftung mit dem Arbeitstitel „KUNSTdemokratie" ins Leben rufen als Opposition zum offiziellen Kunstbetrieb, möchte die Kunst archivieren und zeigen, die dort keinen Platz findet. Wieczorek schwebt eine Gesamtschau der bildenden Kunst vor, aus der nichts ausgegrenzt wird. Stiftungskapital ist zunächst einmal sein eigenes Œuvre.

Kunst und Demokratie sind zwei Begriffe, von denen häufig behauptet wird, daß sie nur schlecht zusammenpassen. Ein Zyniker wie Heiner Müller hätte gesagt, daß Demokratien schlechte Nährböden für Kunst sind. Andererseits kann man sich auch besorgt fragen, was dabei herauskommen soll, wenn „demokratisch" über Kunst abgestimmt wird.

Als Künstler ist man ja auch ein Staatsbürger. Man lebt in einem Staat, einer Gemeinschaft, das ist mein Gedanke. Ich stelle mir erst mal vor, daß es ein gegenseitiges Interesse geben könnte, daß sich politisch engagierte und kunstinteressierte Menschen füreinander interessieren und möglicherweise gemeinsam Projekte machen, um besser zusammenleben und existieren zu können. Ich sage das in erster Linie als Bürger und nicht als Maler, der demokratisch malt. Ich hab jetzt nicht die Vorstellung, daß man eine demokratische Kunst machen müßte, daß fünf Leute bestimmen sollten, wie ein Bild weitergemalt wird.

Mir geht es darum, Kunst nicht den Kapitalmärkten zu überlassen, diktiert von Angebot und Nachfrage. Übergeben einem Markt auf dem wenige Menschen Kapital einbringen. Nein. Die Wahrscheinlichkeit auf urteilsfähige Augen und Verstand zu treffen, ist im Bereich der Kunst zufällig. Es gibt keine Systematik, nur trunkene Zuversicht.

Mit ihrer Stiftung wollen Sie auch opponieren. Wo sehen Sie den Oppositionsbedarf?

Ich begreife mich selbst als Opposition, weil ich auf dem Markt so gut wie nicht vertreten bin. Es gibt keinen Galeristen, der mich vertritt, und es kommen auch keine Medien, die mich nach meiner Meinung fragen. Ich muß mich halt durchs Leben schlagen, recht und schlecht. Und ich habe auch den Eindruck: Je höher Kunst dotiert ist, desto miserabler ist sie. Dagegen will ich Opposition machen.

Ich habe mich jetzt 30 Jahre abgestrampelt und hoffe, daß noch 30 oder 40 dazukommen. Ich will vermeiden, daß meine Arbeit einfach unter den Teppich gekehrt wird. Ich will mit der Arbeit, die ich mache, die Gesellschaft mitgestalten ­ von mir aus auch die ganze Welt, wenn sie denn Interesse hat. Ich gehe davon aus, daß es hier und in der ganzen Welt eine Menge Künstler gibt, die kaum beachtet werden, deren Werk aber bewahrt werden müßte.

Mehr als 20 Jahre habe ich mich auf die Reifung meiner Kunst konzentriert. Kunstvermarktung und Öffentlichkeitsarbeit habe ich immer wieder nur angetestet und hier Erfahrung gesammelt. Die bisherige Summe meiner Erfahrungen, Analysen und Thesen zur Gesellschaft und Welt, bringen mich zu der Erkenntnis, daß ich mich auf die Kunstsysteme und den in ihnen agierenden Menschen nicht verlassen kann.

Welche Erfahrung haben Sie in den 30 Jahren mit dem Kunstbetrieb gemacht?

Ich habe einen Galerie-Marathon durch mehrere Städte hinter mir, mit dem Mäppchen unterm Arm. Man kriegt abweisende Meinungen. Die Galeristen haben alle ihr kleines Programm und bemühen sich auch nicht, die große Spanne an Kreativität, die ja vorhanden ist, in irgendeiner Weise abzubilden.

Haben Sie den Eindruck, daß die Ausschlußgründe ästhetischer Natur sind? Geht es dabei um Inhaltliches?

Wenn ich das nur wüßte! Ich bekomme in der Regel die Begründung: Paßt nicht ins Programm. Also muß es mit dem Inhalt zu tun haben.

Ich denke, die Künstler müßten sich mehr Gedanken über die ökonomische Seite ihrer Arbeit machen. Und wenn die Kunsthandelsstruktur nicht ausreicht, die Masse von Künstlern in Arbeit und Lohn zu bringen, dann sollten sie überlegen, wie sie das selbst hinkriegen.

Wenn man größere Gruppen bildet, kann man gemeinsam überlegen, wo man Verdienstmöglichkeiten hat. Man könnte zum Beispiel einfordern: Wir wollen unsere Städte und Landschaften gestalten. Warum soll das immer alles der Architekt machen? Hier wäre eine Verdienstmöglichkeit. Und die eigentliche, freie künstlerische Arbeit müßte sich dann nicht so sehr an wirtschaftlichen Gesichtspunkten orientieren. Der große Markt mit den teuren Bildern kann ja nebenher auch noch existieren. Den will ich ja nicht abschaffen. Das setzt auch eine Lernbereitschaft der Künstler voraus.

Ich will mein eigenes Œuvre retten, aber auch das von anderen. Ich vermute, daß einiges an bedeutendem Kulturgut auf Dachböden, in Kellern unbeachtet auf seinen großen Auftritt wartet, aber auch auf die Müllabfuhr, bestenfalls auf einen Trödler. Ich vermute Vernichtung von Kunst, nicht mehr beweisbar, da sie zu Methangas gärt in unseren Müllbergen, da sie aus den Schloten dampft unserer Müllverbrennungsanlagen.

Ein Problem in der bildenden Kunst ist ja immer dieser Fetisch der Originale, die dann zu Spekulationsobjekten werden. Man könnte doch auch sagen, man umgeht diesen Markt und schafft dann vielleicht gar keine Unikate mehr, sondern Multiples oder medial vermittelte Kunst. Aber das scheinen Sie ja nicht anzusreben.

Dann müßte ich die Malerei verlassen. Aber das ist mein Metier, das liebe ich ja. Und das halte ich auch für wichtig und durch Medien nicht ersetzbar. Fernsehen kann kein Ölbild malen, sage ich immer. Malerei hat einen Erlebniswert, mit dem die elektronischen Medien nicht mithalten können. Da freut man sich an den roten Punkten, die in der Sonne glitzern.

Der Kunstbetrieb benutzt die Geschichten um Kunst und Künstler aus dem 19. und 20. Jahrhundert betriebswirtschaftlich zur Geldvermehrung. Und hier bin ich an einem Punkt, auf den ich mich ebenfalls nicht verlassen will, die Mär vom Ruhm nach dem Tod, der eigene. Da setzt dann der Verzweiflungsberuhiger der Erfolglosen ein, mit dem Standardsatz „Qualität setzt sich durch".

Ein erster Schritt zur Selbstorganisation war die Gründung der Produzentengalerie.

Im März 2005 habe ich mir offiziell den Titel Produzentengalerie gegeben. Die Vernissagen sind immer sehr gut besucht, und in den letzten Monaten konnte ich auch das eine oder andere Stück verkaufen. Ein durchschlagender ökonomischer Erfolg ist das aber noch nicht. Ich finanziere viel aus den Rücklagen, die ich noch habe, aus dem Broterwerb und alten Verkäufen. Aber es funktioniert, ich muß nicht zum Arbeitsamt. Ich kann vom Verkauf meiner Bilder leben und mache hin und wieder auch andere Projekte, zum Beispiel Workshops für Kinder. Dafür bin ich mir nicht zu schade. Das würde ich auch noch machen, wenn ich Millionen verdienen würde.

Ich will mich auf diese Gesellschaft nicht verlassen. Ich will mich auf keine Erben verlassen. Ich will mich auf keinen Galeristen verlassen. Ich will mich nicht darauf verlassen, vom „Kunstbetrieb entdeckt" zu werden.

Ein wesentlicher Bestandteil des Stiftungskonzepts ist der Archivierungsgedanke. Sie sagen, es gehe viel zu viel Kunst verloren, da gebe es Handlungsbedarf. Was bringt Sie zu dieser Auffassung? Ist das eine Vermutung? Oder haben Sie selbst Funde auf Dachböden gemacht?

Ich unterhalte mich mit etlichen Leuten, mit Kollegen wie Ottmar Bergmann. Der ist heute 70 und hat in seiner Generation auch ganz viele Künstler gekannt, die in der Versenkung verschwunden sind, die mal kurz auf dem Markt waren und dann wieder verschwanden. Und kein Mensch interessiert sich für sie. Es gibt inzwischen einige Leute, die das Problem erkennen. Ich lese immer wieder von Stiftungen und Initiativen, die sich um Nachlässe kümmern wollen.

Aber muß man wirklich alles sammeln? Ist es in einer Zeit der Informations- und Datenüberflutung nicht vielmehr nötig, selektiv vorzugehen? Ein Museum muß auch auswählen, und wenn Sie ein Stiftungsmuseum gründen wollen, dann müssen Sie ja auch eine Auswahl treffen.

Es wird vielleicht gar nicht zu wenig archiviert, aber es werden immer nur die Stars archiviert. Das funktioniert ja auch in den Medien so, daß immer nur ein ganz bestimmter Ausschnitt gemeint wird, wenn von der Kunst gesprochen wird. Da bin ich immer gar nicht dabei. Schon in der Sprache findet der Ausschluß statt: Wir sind die Künstler und die anderen nicht. Dem will ich auch begegnen. Mehr Objektivität und weniger Inszenierung.

Sie wollen den Kunstbegriff entauratisieren und verbreitern. Sie wollen Kunst nicht als Elitesignum verstanden wissen, sondern sagen: Es gibt Kunst, und das ist ein sehr breites Feld, das man in dieser Breite ernstnehmen sollte.

In letzter Konsequenz vielleicht nicht alles ernstnehmen oder nur unter bestimmten Aspekten. Ich möchte eine Stiftungsgalerie ins Leben rufen, von der dann ein Teil der Erträge der Stiftung zugute kommt. Der nächste Schritt wären Lagerräume, ein Museum, das die Bestände sichert und sich in der Öffentlichkeit legitimiert, das sammelt und Ankäufe tätigt, Nachlässe betreut. Irgendwann ist dann ein Vermögen angehäuft, aus dem Projekte finanziert werden können.

Die Stiftung soll davon ausgehen, daß das blödeste Bild, das heute nicht einmal jemand geschenkt haben will, in fünfhundert Jahren einen Wert haben wird, im Sinne von Vermarktung. Im Sinne des weiteren Stiftungszwecks, Forschungsgegenstand zu sein, bleibt jede Arbeit relevant.

Wissen Sie schon, was Sie sammeln wollen?

Ich würde im eigenen Bekanntenkreis beginnen. Recherchieren. Vielen Kollegen ist es schon bewußt, den anderen wird es noch bewußt. Die haben alle dieselben Probleme. Sie haben jede Menge Bilder, sind nicht repräsentiert auf dem Kunstmarkt, haben auch keine Professur. Und da läuft nichts automatisch. Da kümmern sich bestenfalls Verwandte darum, und diese müssen es sich auch leisten können. Ich will die Sammlung nicht allein aufbauen, mir schwebt ein Stiftungskonzept vor, das auch kollektives Handeln kennt.

Interview: Florian Neuner, Zitate: Rainer Wieczorek

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