Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Monument der Ineffizienz

Berliner U-Bahnlinien (V): die U4

Die U-Bahnlinie 4 kann einem schon leid tun. Auf der nicht einmal drei Kilometer langen Strecke – der einzigen im Berliner U-Bahnnetz zudem, die keine Bezirksgrenze überschreitet – benötigen die Züge kaum mehr als fünf Minuten vom Nollendorfplatz zum nahen Endbahnhof Innsbrucker Platz. Von wegen Züge: Wer sich am Nollendorfplatz auf den U4-Bahnsteig verirrt, wird dort keinen Zug warten sehen, sondern oft nur einen einzigen Wagen, verloren auf dem weiten Bahnsteig, gleich dem kleinen Dieseltriebwagen einer Nebenbahn, deren Stillegung die Deutsche Bahn vergessen hat. Und es kann lange dauern, bis der Ultrakurzzug die Fahrt aufnimmt, denn die U4 verkehrt zu keiner Tageszeit häufiger als im Fünf-Minuten-Takt. Notfalls geht man eben zu Fuß. Ist ja nicht weit zum Innsbrucker Platz.

Zudem wird der U4 regelmäßig übel mitgespielt. So knallte man Ende der siebziger Jahre die Stadtautobahn so dicht hinter den Endbahnhof Innsbrucker Platz, daß eine Verlängerung nach Süden nunmehr so gut wie ausgeschlossen ist. Und als die BVG ­ einzige kundenfreundliche Entscheidung der letzten Jahre ­ den U-Bahn-Nachtbetrieb ausweitete, hatte ausgerechnet die U4 das Nachsehen und ist jetzt die einzige Linie, die nicht einmal an den Wochenenden die Nacht durchfährt. Aber nun, man kann das Stück ja zu Fuß gehen. Die U4 aber wird nicht nur stiefmütterlich behandelt von der BVG (vielleicht aus Ärger darüber, daß man U-Bahnlinien nicht einfach so stillegen wie man Buslinien ausradieren kann), sie wird auch noch als Versuchskaninchen mißbraucht. Fahrerlosen Betrieb und allen möglichen Kokolores hat die BVG zuerst in Schöneberg ausprobiert.

Man kann sich schon fragen, wer die U4 eigentlich braucht ­ die Linie, die mit ihren lediglich fünf Bahnhöfen das Produkt eines Schöneberger Schildbürgerstreichs darstellt. Wahrscheinlich sind die meisten Fahrgäste Umsteiger, die denken: Jetzt bin ich schon mal hier, am Bahnhof, und kann auch noch die zwei Stationen mit der U4 fahren. Ich glaube nicht, daß jemand einen mehrminütigen Fußweg zum Viktoria-Luise-Platz auf sich nimmt, um von dort zum Rathaus Schöneberg zu fahren.

Ich bin vor langer Zeit das erste Mal mit der U4 gefahren, die mir als Kuriosum gleich sympathisch war, zu Studentenzeiten, als ich mir die BVG noch leisten konnte. Doch dann hat es sich kaum wieder ergeben, daß ich ihre Dienste in Anspruch genommen hätte. Wozu auch. Denn wenn ich schon mal vom Bayerischen Platz zum Nollendorfplatz wollte, dann belehrte mich ein Blick auf den Fahrplan schnell eines Besseren: Nächster Kurzzug erst in zehn Minuten, zu Fuß würde ich schneller sein.

Erst als ich öfters zum Funkhaus am Hans-Rosenthal-Platz mußte, bot sich die U4 als brauchbares Verkehrsmittel an, das mich fast bis vor die Deutschlandradio-Tür brachte. Doch ausgerechnet da bereitete sie mir die größte Enttäuschung. Es war viel zu früh am Morgen, eigentlich noch mitten in der Nacht, und der Kurzzug war vollgedrängt mit anscheinend werktätigen Menschen. Sozusagen ein Westberliner Biotop, der intakte Rest des Angestellten-Milieus. Doch der Zug wollte und wollte sich nicht in Bewegung setzen, es wurde nervös telefoniert, die genuschelte Lautsprecherdurchsage konnte natürlich niemand verstehen. Am Ende hatte es uns die kleine U4 gezeigt und 20 Minuten gestohlen! Viermal hätte man in der Zeit die Strecke fahren können! Und natürlich wäre ich zu Fuß pünktlich im Studio gewesen.

Heute, da die BVG ihrer Zerschlagung bzw. Privatisierung entgegensiecht und auch in der Verkehrspolitik das neoliberale Rationalisierungsgeblök dominiert – heute ist die U4 so etwas wie ein großartiges Monument der Ineffizienz. In den Schatten gestellt werden könnte der Metropolen-Bummelzug höchstens noch durch die drohende Kanzlerin-U-Bahn, die möglicherweise bald so sinn- wie fahrgastlos zwischen Brandenburger Tor und Lehrter Bahnhof pendeln wird.

Peter Stirner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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