Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wo sind hier die Touristen?

Streit um den Umbau der Markthalle am Marheinekeplatz

Seit sich Supermärkte zum Nonplusultra der Einkaufskultur entwickelt haben, sind Tante-Emma-Läden im Abseits. Mit den Billigangeboten der Supermärkte konnten sie nie konkurrieren. Allein die Qualität, das regional Spezifische oder die Kundenfreundlichkeit haben einigen von ihnen bisher das Leben gerettet. So auch in der Marheinekehalle, die schon seit langem Konkurrenz von zwei nahegelegenen Supermärkten erhalten hat. Das gründerzeitliche Ambiente, die persönliche Bedienung und das niedrige Preisniveau sicherten der Halle bisher das Überleben, wenn auch in letzter Zeit über 20 Prozent der Marktstände leerstehen. Dies wird vom Mieterrat Chamissoplatz auf die gesunkene Kundennachfrage zurückgeführt – eine Folge des niedrigen Einkommensniveaus der Anwohner und des ausgedünnten Warenangebots.

Nun will die Betreiberin der Halle, die Berliner Großmarkt GmbH (BGM), die Halle sanieren und den Kunden dabei gleich ein ganz neues Einkaufsgefühl verpassen. In deren Konzept sollen zwar weiterhin Dienste angeboten werden, die es sonst im Bergmannstraßenkiez nicht mehr gibt, wie „Haushaltswaren, Schuster, Schlüsseldienst, Zeitungen, Zigaretten, Lotto und zwei ganz besondere Buchläden", aber für Lebensmittel des täglichen Bedarfs sehen sie keinen Platz mehr, denn diese würden bereits von den nahegelegenen Supermärkten angeboten, wie der BGM-Geschäftsführer, Andreas Foidl, verlauten läßt. Stattdessen soll es vor allem Bioprodukte und mehrere Spezialitätenrestaurants geben. Für die Gastronomie soll die Südseite der Halle zur Bergmannstraße hin geöffnet werden. Dabei hofft Foidl vor allem auf Touristen, die er, durch die Restaurants angelockt, scharenweise in die Markthalle laufen sieht. Bisher kamen die Touristen allerdings hauptsächlich zum Pinkeln, weil Reiseunternehmen ihre Busse zu diesem Zweck die Halle ansteuern ließen; außer mal einen Apfel kauften sie wenig.

Eine Kundenbefragung durch den Mieterrat Chamissoplatz, die dieser im Auftrag des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg durchführte, ergab, daß die Kunden zu 68 Prozent aus dem Chamisso-/Bergmannstraßenkiez kamen und 21 Prozent aus dem restlichen Kreuzberg. Nur 11 Prozent kamen aus anderen Bezirken. Wo sind hier die Touristen?

Gleichzeitig soll von den fünf bisherigen Standreihen eine für die Durchwegung in der Mitte der Halle wegfallen. Auf diesem Platz soll dann ein sogenannter Erlebniseinkauf durch die Ausstellung von Waren und Lesungen inszeniert werden. Durch diese Planung würden ungefähr 40 Prozent der bisherigen Stände wegfallen. Als Ersatz dafür will die Großmarkt GmbH eine Galerie im hinteren Teil der Halle für weitere Stände einbauen und dort die Kiezversorgung ansiedeln, also dort, wo niemand zufällig vorbeikommt ­ ein zentraler Aspekt des Konflikts mit Händlern und Kunden. Diese möchten die kleinteilige und durchmischte Form des Warenangebots gerne erhalten, aber wenn die BGM als Betreiberin sich nicht dreinreden lassen will, hat auch die Politik keine Chance, Einfluß zu nehmen.

Der Bau einer Tiefgarage wurde hingegen nach Kunden- und Händlerprotesten von der BVV Friedrichshain-Kreuzberg nicht genehmigt. Mit der Tiefgarage hoffte die BMG, mehr Kunden in die Halle zu ziehen. Bei der Kundenbefragung durch den Mieterrat Chamissoplatz ergab sich, daß lediglich 6,6 Prozent der Befragten die Tiefgarage nutzen würden. Bei einer derartigen Nutzungslücke könnten weder die Baukosten eingespielt werden noch würden sich überhaupt die Betriebskosten decken lassen, was unweigerlich zur Erhöhung der Standmieten und damit auch der Warenpreise führen würde.

Die BMG plant die Sanierung und Modernisierung der Marheinekehalle ab 2007 und will sie deshalb für zehn Monate schließen. Als Ersatz, um die Umsatzeinbußen der Händler so gering wie möglich zu halten, will die BMG für die Bauzeit Container auf dem Marheinekeplatz aufstellen, die die Händler solange als Verkaufsstände nutzen könnten. Ein vom Mieterrat in Auftrag gegebenes Alternativkonzept hatte zwar Möglichkeiten aufgezeigt, die Halle ohne Totalschließung sanieren zu können, dies wurde aber von den Händlern abgelehnt.

Daß die Kunden und Händler überhaupt über die Pläne der Betreiberin informiert wurden, lag vor allem am Engagement des Mieterrates. Dieser hatte im April mit den Markthändlern in der Passionskirche eine Diskussionsveranstaltung zur Zukunft der Marheinekehalle veranstaltet, die auf große Resonanz gestoßen war. Zwar erklärte sich die BGM dabei bereit, die Besorgnisse der Händler und Anwohner bezüglich der Zukunft der Halle ernstzunehmen, eine Bestandsgarantie für die in der Halle angesiedelten Händler wollte sie jedoch nicht geben. Bisher ließ sich die BMG nur auf Änderungen ihres Konzepts ein, wenn dies baurechtlich nicht zu umgehen war, wie bei der Tiefgarage. Über die Öffnung der Halle zur Südseite hin, muß noch entschieden werden, denn auch diese muß baurechtlich genehmigt werden. Das Problem ist dabei die Zerstörung der Außenansicht des historischen Gebäudes.

Inett Kleinmichel

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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