Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wenn der Idealismus ersteAbnutzungserscheinungen zeigt

Warum das WASG-Konzept der „sozialen Opposition" nicht funktionieren kann

Der PDS und den Grünen wirft man seitens der WASG vor, keine „echte" Opposition mehr zu sein, sich den „Sachzwängen" angepaßt und insgesamt bloß noch Erfüllungsgehilfen des „Neoliberalismus" zu sein. Und zum Teil haben die Unkenrufer sogar recht. Allerdings war die Entscheidung, sich als Partei zur Wahl zu stellen, wenig geeignet, es besser zu machen als die Kritisierten. Da die WASG den Einzug ins Parlament verfehlt hat, kann man zwar nicht wissen, was sie dort so getan hätte, doch dieser Umstand spielt auch keine Rolle. Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn.

Der Grundgedanke des Wahlantritts der WASG lautete, „soziale Opposition" im Abgeordnetenhaus sein zu wollen. Eine Regierungsbeteiligung wurde kategorisch ausgeschlossen, weil man in keiner der bestehenden Parteien einen ernsthaften Partner für die eigenen Ziele sah, nämlich weiteren Sozialabbau und Privatisierungen zu verhindern.

Nicht in ihren ultimativen Forderungen, sondern im Wahlantritt liegt der Kern ihres Scheiterns. Die jüngere Geschichte des Parlamentarismus verzeichnet immer wieder mal gelungene Versuche von Bewegungen, mit einer eigenen Partei in ein Parlament einzuziehen. Genauso zuverlässig scheitern sie dort jedoch entweder an ihrer eigenen Zerstrittenheit oder sie werden alsbald wieder herausgewählt. Die einzige Möglichkeit, nicht zu scheitern, scheint die zu sein: sich anzupassen. So wie bei Grünen und PDS und weiteren.

Wer ins Parlament einzieht, paßt sich dessen Gepflogenheiten an. Ganz automatisch und unausweichlich. Da kann man den noch so eisernen Willen aufbringen, „soziale Opposition" zu sein ­ die Probleme beginnen, wenn es um die Höhe der Diäten, die Verteilung von Posten und anderen Pfründen geht. Und irgendwann, wenn sich die Anti-Parlamentarier halbwegs in den Betrieb eingearbeitet haben und der Idealismus erste Abnutzungserscheinungen zeigt, spätestens dann stehen die Lobbyisten vor der Tür, bitten um Gespräche, laden zum Mittagessen ein, haben Aufsichtsratsposten zu vergeben. Wer kann dann noch Nein sagen?

Bei der WASG scheint man sich nicht darüber im klaren zu sein, daß sich niemand den Werten der Gemeinschaft, der er angehören möchte, vollständig entziehen kann. Auch die unterschiedlichsten Positionen und Konzepte nähern sich über kurz oder lang an, sofern die Auseinandersetzungen gewaltfrei geführt werden. (Und das wollen doch sicherlich auch die sich kämpferisch gebenden WASGler.) Wenn die WASG als Partei zu Parlamentswahlen antritt, dann wird auch sie sich im Erfolgsfalle der dort herrschenden Rationalität anpassen. Ob und inwieweit man sich mit dieser Frage auseinandergesetzt hat, ist nicht bekannt. Vermutlich gar nicht.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Frage wird irgendwann wieder akut werden. Doch einstweilen bleibt dem Berliner Polit-Betrieb das Schauspiel der parlamentarischen Verbürgerlichung der WASG erspart.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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