Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wo man Blechteller noch mit der Hand formt

Jedes Mal, wenn Menschenkind den rechten Zeigefinger nach der Tastatur seines Handys ausstreckt, um Dittes Nummer einzutippen, muß er ganz schnell eine rauchen oder den Mülleimer rausbringen oder sonst was wichtiges tun. Setzt er sich an den Laptop mit der Absicht, wenigstens kleinlaut eine unpersönliche E-Mail abzusenden, schreibt er etwas völlig anderes. „Ich brauch eine neue Tastatur für den Text an Ditte, den mir meine Seele diktiert", murmelt er vor sich hin, während er in den Laptop einen Mahnbrief an die Lieferstelle für Dixi-Klos tippt, immer wieder die Bierflasche zu den geschürzten Lippen führend. Schon hat er eine neue Flasche geöffnet, während die Asche seiner Karo auf den, naja, Teppich tropft. Asche. „Sackgesicht" nennt er sein Spiegelbild auf dem geschlossenen Laptopdeckel. „Mit Federn", ergänzt er, seine fusseligen Haare betrachtend. „Gut gefedert. Wie ein Westwagen", denkt er, als er den Laptop wieder aufschlägt und nun entschlossen eine Mail an Ditte schreiben will, freilich nicht die ultimative mit Herz und Schnauze und so, dafür braucht er ja eine neue Tastatur. Die erste Mail geht:

„Liebe Ditte, das mußt Du lesen. Stell Dir vor, das alles wurde von der Bezirksverordnetenversammlung Mitte beschlossen, schon vor Jahren, und nach Jahren auch wirklich ausgeführt! Um den Lehrter Stadtbahnhof herum, den heutigen Hautbahnhof; der Dir ja, wie Du mir einfach ins Gesicht gesagt hast, wirklich gut gefällt (das verzeihe ich Dir nie, aber dazu später!), hat man folgende Straßen neu benannt: Nördlicher Bahnhofsvorplatz – Benennung in: Europaplatz·(heißt der aber heute nicht doch Washington-Platz? Na, wir müssen einmal nachsehen!); Nördliche Viaduktstraße – Benennung in: Emma-Herwegh-Straße; Südliche Viaduktstraße – Benennung in: Agnes-Zahn-Harnack-Straße; Südliche Bahnhofsstraße – Benennung in: Ilse-Schaeffer-Straße; Straße am ULAP – Benennung in: Clara-Jaschke-Straße, Westliche Bahnhofstraße–Benennung in: Ella-Trebe-Straße. 1. Querstraße – Benennung in: Herta-Benz-Straße; Mittelstraße–Benennung in: Katharina-Paulus-Straße. Das wäre doch eine schöne Flanieraufgabe für uns beide, einmal wieder gemeinsam nachzusehen, wie es sich nun verhält, und dann vielleicht den scheinschlag-Lesern mitzuteilen, um welche verdiente Eisenbahnerinnen des deutschen Volkes es sich bei den neuen alten Damen auf den Straßenschildern handelt. Emma Herwegh war wohl doch eher eine Dichter-Gattin. Wie denkst Du darüber?

Menschenkind.

Die Mail lagert er erst einmal ein im Kurierdienst, für alle Fälle. Ditte ist nämlich imstande, über alle Zerwürfnisse hinweg sofort loszulegen, weil sie nun einmal von Neugier wie ein Auto von Benzin oder Menschenkind von Bier angetrieben wird. Darauf trinkt er erst mal einen kräftigen Schluck. Als die Freude darüber nachläßt, fällt ihm wieder ein, daß er ja Ditte wirklich eine Mail schreiben muß, sonst breche sie den Stab über ihn oder so ähnlich, hatte sie im verschrobenen Konjunktiv ihrer Mail gedroht.

Vier leere Bierflaschen neben dem gedrechselten Schreibtischfuß, setzt er zum nächsten Versuch an, folgendermaßen:

„Liebe Ditte, nun zu Dänemark. Wo man Blechteller noch mit der Hand formt. Wenn die beim Formen des Blechtellers mit der Hand die linke Kurve formen, da jedes Mal überfällt sie die Schwermut und dann noch die flache Landschaft! Mir ist nichts von einem Steinkohle-, Braunkohle- oder anderem Vorkommen auf einer der zahlreichen Inseln bekannt. Eigentlich weiß ich nur von Schalke 04, daß man da hinaufgehen kann. Man kann auf Schalke sein, aber wo sollte man in Dänemark hinaufgehen können? Es könnte anders aussehen, wenn die Dänen Bergbau betrieben, aber auch das würden sie anders nennen müssen, da ihnen ja ­ siehe oben ­ die Berge fehlen und sie deshalb Blechteller mit der Hand formen müssen. Fast verzweifelt, aber noch immer an die Liebe glaubend, grüßt Dich,

Dein Menschenkind.

Als er sie nochmal durchsieht, löscht er die Mail und schreibt: Meine liebe Ditte, ich brauche Dich, Dein Menschenkind. Die schickt er ab, ohne schlechtes Gewissen. Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

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