Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bückeisen und Turnbeutelvergesser

Bodo Mrozek setzt sich für aussterbendes Vokabular ein

Natürlich konnte ein notorischer Sammler von überflüssigem Wissen und stolzer Besitzer des Buches Kleines Lexikon untergegangener Wörter, der zudem der Sprache mitunter geradezu fetischhaften Charakter beimißt, gar nicht anders: Ein Lexikon der bedrohten Wörter ist da nicht nur Pflicht-, sondern vielmehr Lustlektüre.

Der Herausgeber des Lexikons untergegangener Wörter, Nabil Osman, war wissenschaftlich zur Sache gegangen. Bodo Mrozek, der Hüter der bedrohten Wörter, ist Journalist, entsprechend seine Herangehensweise. Das Buch ist weniger ein umfassendes wissenschaftliches Fachlexikon als eine unvollständige, bisweilen etwas unsystematisch wirkende Sammlung bedrohter Wörter aus Hoch- und Alltagssprache. Einige der Worterklärungen sind umfangreich und profund, andere witzeln nur etwas müde vor sich hin. Gerade daß „Vollbeschäftigung" oder „Sozialstaat" in dem Kompendium vorkommen, ist offensichtlich nur dem Umstand geschuldet, daß der Autor eine Pointe landen wollte.

Trotzdem, das Buch ist schon allein deshalb von großem Wert, weil es sich gegen die mit dem Untergang eines jeden Wortes verbundene Verarmung der Sprache stellt. Veraltete Wendungen wie „angelegentlich", „hoffärtig" oder „hold", mit deren Aussterben nicht selten ein Verlust an sprachlichen Differenzierungen einhergeht, sind aufgeführt, es wird referiert über die Verdrängung eines Wortes durch ein anderes, ein Vorgang, bei dem der „Dauerlauf" zum „Jogging" mutiert und der „Junggeselle" zum „Single". Und wohl die wenigsten der in den Neunzigern omnipräsenten Rucola-Fresser werden gewußt haben, daß das Gewächs schon vor seinem Aufstieg zum obligaten Bestandteil eines jeden Partybufetts hierzulande unter dem Namen „Rauke" bekannt war.

Zudem erhält der Leser Erklärungen für heute einigermaßen rätselhaft anmutende Begriffe wie „Olf", „messingisch", „Brestling" oder eben das „Bückeisen", eine Bezeichnung „für ein Sportmotorrad, auf dem der Fahrer in gekrümmter Haltung sitzt wie der sprichwörtliche `Affe auf dem Schleifstein'". Natürlich fehlen die Kuriositäten des DDR-Vokabulars wie „Grilletta", „Nicki" und „Jahresendflügelfigur" nicht, aber auch die „Nietenhose", das „Exportbier" und die „Mischkassette" zählt der Autor zu den fast vergessenen, dem Untergang geweihten Wörtern. Manchen Wörtern wünscht man natürlich (wie der Autor selbst), daß sie möglichst bald dem völligen Vergessen anheimfallen, etwa dem debilen „supi", der unsinnigen Verniedlichung eines Superlativs, Dummdeutsch in Reinform.

Aber die Aufnahme des schönen Wortes „Turnbeutelvergesser" in das Lexikon ist nicht nur deshalb „dufte", weil damit eine Spezies von verpaddelten Adoleszenten aus den Siebzigern benannt wird, die später Germanistik studiert und dann Bücher schrieb wie dieses, sondern weil mit dem Verschwinden des Gegenstandes und so auch des Wortes Turnbeutel eine neue Generation von Turnbeutelvergessern in Erscheinung tritt ­ so schreibt der Turnbeutelvergesser von gestern ein Buch für den Turnbeutelvergesser von morgen.

Mrozek sieht seine Arbeit, die Sammlung und Rettung des halbtoten Wortguts, auch nach Veröffentlichung des Lexikons nicht als beendet an: Im Internet betreibt er die Seite www.bedrohte-woerter.de, auf der man Artenschutz für Wörter beantragen kann. Nach einer Überprüfung werden sie dann auf eine Rote Liste der bedrohten Wörter gesetzt.

Jörn Luther

Bodo Mrozek: Lexikon der bedrohten Wörter. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005. 8,90 Euro

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