Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der Sommer

Wer noch mal wissen möchte, wie sich dieser Sommer anfühlte, dem sei die neue CD von Kante empfohlen. Das erste Stück heißt wie das neue Album: Die Tiere sind unruhig (Labels), darin der Text: „Es ist heiß/Und es ist schwül/ Das Licht zu hell/Die Farben grell/Die Vögel stumm/Die Hunde bellen/Gespenster an/Die Hitze kriecht/Die Straßen lang/Das Fieber steigt/Die Stadt vibriert". Dazu eine Musik, die gleichfalls glüht und immer kurz vor der Selbstentzündung zu stehen scheint und insgesamt das beste ist, was Kante bisher aufgenommen hat. Nun könnte man sagen: Zufall, daß eine Band einen Glutofen-Sommer beschreibt, der dann prompt zur Veröffentlichung des Albums stattfindet. Wäre da nicht diese Naturmetaphorik, die auch Blumfeld auf ihrem letzen Album zelebriert und besungen haben, denn der Refrain des Titellieds lautet: „Die Tiere sind unruhig/Die Kinder nervös/Der Himmel ist fleckig/Die Wolken monströs/Ein Sturm ist im Kommen/ Es könnte jeden Moment passieren." Kante kommen wie Blumfeld auch aus Hamburg, und Peter Thiessen, Sänger und Texter bei Kante, hat – um noch eins draufzugeben – als Bassist bei Blumfeld gespielt. Jedenfalls stellt sich die Frage: Was haben die Hamburger im Augenblick nur mit der Natur? Bei Kante läßt sich die Frage so beantworten: daß die Natur zur Beschreibung einer inneren und gesellschaftlichen Unruhe dient, denn der Song „Die Tiere sind unruhig" setzt sich dann so fort: „Die Innenstadt/Wird kontrolliert/Ich fühl wie sich/Die Spannung staut/Und das Warten darauf/Daß irgendetwas passiert". Die Stimmung, die der Song beschreibt, scheint greifbar und bleibt politisch doch seltsam unkonkret. Es ist eine gesellschaftliche Situation, in der allem Wissen und allem unabweisbarem Handlungsbedarf zum Trotz nichts passiert. Das eigene politische Agieren bleibt gleichfalls seltsam vage und unentschlossen – egal ob es um aufziehende Gewitter im Format eines Gesellschaftsumbaus hier oder um tobende Stürme in Nahost geht. Und so heißt es im letzten Lied „Die Hitze dauert an": „In den Bergen hängt Gewitter/Und die Hitze dauert an/(...) Die Fragen sind gestellt/Das was man sagen kann gesagt/Alles ist gut, der Zweifel bleibt/ Der Schmerz,die Trauer und der Zorn." Vielleicht deswegen auch diese Naturbilder, denn während der Pop- und Kulturbetrieb in den letzten Jahrzehnten geschickt mit Ironie und Doppeldeutigkeit jegliche Festlegung in der neuen Unübersichtlichkeit verweigert hat, erscheint die Natur als letzte große Metapher zwar auch nicht unbedingt aussagekräftiger, aber eben auch nicht mehr total beliebig.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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