Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bilder der Sprachlosigkeit

Jeder Mensch trägt Erlebnisse mit sich herum, von denen er ungern oder gar nicht sprechen möchte. Das sind seine Geheimnisse, wunde Punkte, an die man besser nicht rührt. Was aber, wenn diese Geheimnisse die Familie belasten? Dieser Frage gehen Marc Bauder und Dörte Franke in ihrem Dokumentarfilm Jeder schweigt von etwas anderem nach.Vier Menschen, die Anfang der achtziger Jahre von der Stasi in der DDR inhaftiert wurden, weil sie nicht schweigen wollten, stehen im Mittelpunkt. Die Mutter Anne Gollin, die damals ihren dreijährigen Sohn verlassen mußte, der Dichter Utz Rachowski und das Pfarrerehepaar Tine und Matthias Storck.

Jeder der vier geht mit der Erfahrung des Eingesperrtseins, der psychologischen Folter anders um. Eine macht Führungen in der Stasi-Zentrale Normannenstraße und erzählt Offizieren von ihren Gefühlen gegenüber der untergegangenen Staatsmacht ­ ihren Eltern oder ihrem Sohn hingegen kaum. Der Dichter spricht in Schulen über seine Zeit im Gefängnis, hat Bücher geschrieben, aber mit seinen Töchtern redet er nicht darüber. Bücher gibt es auch von Matthias Storck. Seine Kinder, die allesamt im Westen aufgewachsen sind, lesen diese jedoch mit sehr gemischten Gefühlen und wollen die schwierige Vergangenheit ihrer Eltern lieber ruhen lassen.

Die Regisseure lassen sowohl die Betroffenen als auch deren Angehörige zu Wort kommen. Geschickt sind die Geschichten der vier miteinander verwoben und ergeben letzten Endes ein Bild der allgemeinen Sprachlosigkeit in den Familien. Keiner traut sich, auch über 20 Jahre nach den Geschehnissen, diese sehr tiefen Wunden aufzureißen, die kaum vernarbt sind. Daß die Protagonisten jedoch reden wollen, zeigt der Film eindrucksvoll und macht klar, daß es über dieses Thema noch sehr viel zu sagen gibt.

Ingrid Beerbaum

„Jeder schweigt von etwas anderem" kommt am 14. September in die Kinos.

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