Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kunst kuriert Wirtschaft

Die „Creative Industries" wecken Träume und falsche Hoffnungen

„Die Trümmerblume", heißt es in einer Gartenenzyklopädie, „gedeiht bevorzugt auf Schuttplätzen und Industrieruinen". Ähnliches könnte man von der Hoffnung auf das Geschäft mit der Kreativität sagen. Wo Schornsteine zu rauchen aufhören, wo Fertigungshallen wie leere Gehäuse zurückleiben, gedeiht sie. Brauereien werden zu „Kulturbrauereien", Fabriken zu „Regenbogenfabriken", Nähereien zu Ateliers für Grafikdesign. Man weiß es längst: Wenn die Werktore schließen, kommen die Künstler. Mittlerweile rechnet man mit ihnen. Sie werden als Hoffnungsträger einer neuen Ökonomie – wenn nicht gar als der künftige Kitt der Gesellschaft gehandelt. Wie Pilze sprießen Studien aus dem Boden, die die Kreativen hinsichtlich ihrer ökonomischen Potenz abklopfen. Auch die deutsche Hauptstadt hat der Trend erreicht. Erst ließ eine Studie der Berliner Kulturwirtschaft 2005 verlauten, die Ökonomie der Kreativen erwirtschafte bereits elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Stadt und damit einen ebenso hohen Anteil wie das produzierende Gewerbe. Dann ließ die Stadtentwicklungssenatorin eine Strategie ausrufen, die die Kreativen zu den Rettern der deindustrialisierten Stadt erklärt. Im Berliner Abgeordnetenhaus debattiert man, wie man der Botschaft „konkrete Schritte" folgen lassen wolle.

Es wundert nicht, daß der Befund Aufmerksamkeit erregt. Denn sollten die Kreativen tatsächlich ersetzen können, was verloren gegangen ist ­ Arbeit, Lohn, Vertrauen in die Zukunft ­ dann hieße das, daß wir uns wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnten. Die Idee ist virulent. Wenn Wolfgang Clement anläßlich der Popcom die vielen kleinen Elektronikmusik-Firmen zum „neuen Unternehmertum" adelt, ist das nur die profane Spielart des kreativen Glaubensbekenntnisses. Adrienne Goehler sieht nach dem Verschwinden der klassischen Arbeit gleich eine neue „Kulturgesellschaft" aufsteigen, die in der Lage sei, allein aus der Kreativität ihrer Mitglieder heraus eine neue „ökonomische und soziale Basis" zu generieren. Wenn die Kreativen unsere Hoffnung sind ­ müßte man sie dann nicht fördern?

Bevor wir aber neue Fördertöpfe für Kreative einrichten ­ nicht damit sie Kunst schaffen, sondern damit sie unsere Wirtschaft retten ­, sollten wir uns fragen, worum es eigentlich geht. Wer soll welche Erwartungen erfüllen? Werden Bildhauer Businesspläne schreiben? Macht man Hoyerswerda zur Kolonie für bildende Künstler ­ und alles wird gut? Was ist überhaupt dieses schillernde Ding, das ständig seinen Namen wechselt ­ das mal „Kreativwirtschaft", mal „Kulturwirtschaft" mal „Creative Industries" heißt?

War die „Kulturindustrie" etwas Schlechtes ­ Ökonomie verdirbt Kunst ­, ist „Kulturwirtschaft" etwas Gutes: Kunst kuriert Wirtschaft. Im Great Britain der achtziger Jahre, als die Schwerindustrie am Boden lag, erkannte das Greater London Council in der Produktion von Kulturgütern erstmals einen Wirtschaftsfaktor. Als Tony Blair später eine „Creative Industries Task Force" einsetzte, um schrumpfende englische Arbeiterstädte zu retten, genoß er bereits weltweite Medienaufmerksamkeit. Denn in allen alten Industrienationen begann man, immer nachdrücklicher von „Transformationsprozessen" zu sprechen ­ und deren nachfolgende Leere zu fürchten. Das Blair-Team suchte nun nach Produkten, die man herstellen kann, wenn Kohlegruben geschlossen, Stahlwerke abgewickelt und Schiffswerften pleite gegangen sind. Popmusik etwa, Konzerte, Platten, Filme. Als der Stern der New Economy aufging, erfaßten die Tentakeln der Task Force auch ihn, denn auch er erfüllte die Suchkriterien. Hatte man anfangs von „Cultural Industries" gesprochen, sprach man nun allgemeiner von „Creative Industries" ­ weil ja auch die Entwicklung von Computerkommunikation mit Kreativität zu tun hat, und weil auch sie abgebaute Industrien ersetzen kann.

Die neue Kategorie war von Beginn an durch eine Suche, eine Hoffnung definiert, nicht durch einen Inhalt. Erst nachdem die Entdeckung der Kreativpotentiale international zum Exportschlager geworden war ­ selbst in Neuseeland und Australien begann man, nach ihnen zu forschen ­, versuchten Kulturwissenschaftler des Begriffs Herr zu werden. Sie scheiterten. Es zeigte sich, daß man bislang gar nicht wußte, worüber man überhaupt sprach. Noch nicht einmal herrschte Einigkeit, ob das neue Etwas eine Kategorie von Produkten benannte oder eine bestimmte Art des Arbeitens. „Ausschlaggebend ist das Ergebnis", sagten die einen: Alles, was symbolischen statt praktischen Wert hat, ist ein Produkt der „Creative Industries". Aber symbolischen Wert hat auch die Oktoberrevolution oder die deutsche Wiedervereinigung. Ein Computernetzwerk wiederum hat keinen symbolischen Wert ­ seine Herstellung wird dennoch zu den „Creative Industries" gezählt.

„Es geht um Tätigkeiten, die Kreativität erfordern", sagen die anderen. „Skills" und „talents" seien entscheidend. Doch jegliche Innovation erfordert Kreativität. Weshalb sollte Grafikdesign oder die Erfindung von Computerspielen dazugehören ­ die Entwicklung eines neuen Busfahrplans aber nicht? Wer einmal stochert, findet immer mehr Ungereimtheiten. Manche Forscher listeten ganze Fertigungsketten einschlägiger Produkte auf. Eine Buchproduktion verfolgten sie etwa von der Arbeit des Schriftstellers über die Verlagsarbeit hinein in die Druckereien und über die Versandwege bis in den Handel. Prompt zählt jede Menge vermeintlich klassischer Produktion zu den „Creative Industries". Nicht nur die Fabrik, die die CDs preßt, gehört dazu, sondern auch das Kraftwerk, das die Energie liefert und die Schiffswerft, die den Frachter baut, der die glänzenden Scheiben über den Ozean fährt.

Die Suche nach den Potentialen der Kreativökonomie ist mit Goldgräberei zu vergleichen. Die Hoffnung auf Gold ließ Tausende aufbrechen, und ganze Städte wuchsen. Die Goldgräberstädte wiederum nährten den Mythos, wer nur guten Mutes sei, würde aus trübem Schlamm bald Schätze sieben. Ähnlich ist es mit der Hoffnung auf Rettung brachgefallener Städte durch das gewisse Etwas. Weil Politiker dafür gewählt werden, daß sie Arbeitsplätze versprechen, investieren sie in Goldgräberei. Und immer mehr brechen auf, um zu suchen. Die Forschung nach den Möglichkeiten der „Creative Industries" ist selbst zu einer Industrie geworden, die ein immaterielles Produkt ­ einen Traum ­ erzeugt. Ihr Produkt ist der Glaube an Rettung durch die Produktion von Träumen, Bildern, Wünschen, Ideen. Wer eine Forschung betreibt, die eigentlich eine serielle Produktion von Hoffnung auf Rettung ist, kann nur eine Art von Ergebnis zu Tage fördern ­ nämlich daß die Zuversicht berechtigt sei. Dies führt notwendig zu Fehlschlüssen.

Zum Beispiel nehmen wir an, nachdem im alten Europa ein Transformationsprozeß die Handarbeit in Billiglohnländer verbannte, hier setze quasi zwangsläufig das Zeitalter der immateriellen, schöpferischen Arbeit ein. Sollte es jedoch tatsächlich möglich sein, die kreative Arbeit begrifflich sinnvoll von einer anderen Arbeit abzugrenzen ­ weshalb glauben wir, gerade das alte Europa besitze ein Monopol auf sie? Weshalb sollte die kreative nicht ebenso wie die manuelle Arbeit von den Gesetzen des globalisierten Kapitalismus erfaßt und bald dort verrichtet werden, wo sie am billigsten ist? Weshalb sollte die Produktion von Ideen, Erfindungen, Träumen und Bildern nicht in Indien stattfinden? Sind Inder weniger kreativ?

Ein weiteres Problem ist: Die Bedeutung der „Creative Industries" wird überschätzt. So wertet es die jüngste Berliner Studie uneingeschränkt als Erfolg, daß die Stadt den Kreativbranchen angeblich mittlerweile den gleichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt verdankt wie der verarbeitenden Industrie. Doch fraglich ist, ob dies mehr über den Aufstieg der „Creative Industries" sagt oder über den Niedergang der übrigen Wirtschaftszweige. Wenn eine Autowerkstatt seine Mechaniker entläßt, dafür aber eine Reinigungskraft einstellt, um den Betrieb besenrein zu übergeben, könnte man entweder sagen: Eine Autowerkstatt schließt. Oder: Ein Trendwechsel ist im Gange ­ weg vom Autoschrauben, hin zum Putzen.

Den immerhin sichtbaren Wachstumsraten der „Creative Industries" steht der Kollaps der ehemaligen ökonomischen Basis gegenüber. Und die Berliner Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Denn neben einigen anderen statistischen Fragwürdigkeiten wird etwa die gesamte Telekommunikation zum Kreativbusiness gezählt, ebenso wie die Druckereien, die wirtschaftlich immer schon eine wichtige Rolle spielten.

Und wenn das bewußte „Etwas" wachsen sollte, ersetzt es das, was verlorengegangen ist: Arbeitsplätze, Lohn, Versorgung bei Krankheit oder im Alter? Die Studien zur Kreativwirtschaft loben einhellig einen atemberaubenden Gründergeist in den einschlägigen Branchen: In Wien etwa wurde die Hälfte dieser Unternehmen in den letzten zehn Jahren gegründet. Liest man aber die Wiener Untersuchung quer, fällt auf, daß dieses Gründungsfieber zugleich Symptom der eigenen Krise ist. Denn abgesehen von wenigen, die sich erfolgreich am Markt etablieren, werden dem weitaus größeren Teil der Firmen Instabilität und Kapitalschwäche attestiert. Weil es so verbreitet ist, Zukunft mit Kreativität zu verbinden, tummeln sich auf den einschlägigen Märkten unzählige, hochmotivierte Anbieter, die sich gegenseitig unterbieten, kaum Kapital akkumulieren können und selten in der Lage sind, jemanden einzustellen. In Berlin etwa wirtschaften rund 6300 Designfirmen. Etwa ein Dutzend davon beliefert nach Schätzungen weltweit Kunden. Weitere 300 sind mittelständisch ­ die übrigen stellen das Fußvolk: bereit alles zu tun, jederzeit im Büro oder Atelier zu nächtigen, vor flimmernden Bildschirmen ­ fest davon überzeugt, mit genügend Inspiration irgendwie zu bestehen. Sie sind die Kreativen der Herzen. Sie sind gemeint, wenn Clement von einem „neuen Unternehmertum" schwärmt, nicht Universal Music. Sie werden geliebt, nicht weil sie erfolgreich sind, sondern weil sie Vitalität verkörpern. Der deutschen Depression zum Trotz. Wenn Neueinsteiger auf den übersättigten Märkten keine Arbeit finden und ihre eigene Firma gründen, geschieht dies nicht aus Gründergeist, sondern aus Not. Es ist schlicht eine Alternative zur Arbeitslosigkeit. Die Spirale dreht sich weiter. Ein neuer Marktteilnehmer kämpft um sein Überleben und die Aussichten auf ein sicheres Einkommen sinken.

Freilich – es gedeiht etwas, seit die Schornsteine aufgehört haben zu rauchen. Larry Page hat Google erfunden, es gibt ihn wirklich, und er ist Multimilliardär. Es gibt eine New Economy, die sich nach dem großen Crash mittlerweile langsam stabilisiert. Es gibt „Kulturbrauereien" und eine wachsende Designbranche in Berlin. Falsch ist jedoch, anzunehmen, all das sei miteinander verwandt – nur weil wir ein und dieselbe Hoffnung daran knüpfen. Falsch ist, zu meinen, dies könne eine Rettung für alle sein. Und fatal wäre es, die Wirtschaft mit Kunst, Ideen oder Kreativität für einen Königsweg aus der Krise eines globalisierten Kapitalismus zu halten.

Tina Veihelmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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