Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mehr Macht für Wowereit

Wer wird da nein sagen? Zur Abgeordnetenhauswahl am 17. September wird jeder Wahlberechtigte auch um seine Zustimmung zur Änderung der Berliner Verfassung gebeten. Und die klingt erstmal gut: Die Hürden für direkte demokratische Mitwirkung im Land Berlin sollen drastisch gesenkt werden.

„Volksinitiativen" und Volksbegehren benötigen dann nur noch 20000 Unterschriften. An Volksbegehren dürfen künftig auch 16- und 17jährige teilnehmen. Die notwendige Zustimmungsrate für den dann folgenden Volksentscheid wird von zehn auf sieben Prozent der Wahlberechtigten gesenkt. Und statt zwei hat man nun vier Monate Zeit zum Eintragen in die Abstimmungslisten. Auch können Initiativen jetzt die Zustimmung der Bürger zu Verfassungsänderungen oder ­ allerding bei höheren Hürden ­ zur vorzeitigen Beendigung einer Wahlperiode suchen.

Grundsätzlich ändert sich aber nicht wirklich etwas, denn im Entwurf des neuen Paragraphen 62 der Berliner Verfassung heißt es: „Volksbegehren zum Landeshaushaltsgesetz, zu Dienst- und Versorgungsbezügen, Abgaben, Tarifen der öffentlichen Unternehmen sowie zu Personalentscheidungen sind unzulässig." De facto bleibt also nicht viel übrig für „direkte" politische Willensbildung, wenn Haushalts- und Personalfragen ausgeklammert bleiben ­ die zentralen Punkte, über die Politik gemacht wird.

Wirklich perfide an der Verfassungsänderung ist allerdings, daß das „Mehr" an Partizipation an die größere Machtausstattung des Regierenden Bürgermeisters gekoppelt ist. Der Landeschef soll nun mit Richtlinienkompetenz gegenüber den Senatoren ausgestattet werden. Diese werden dann auch nicht mehr vom Abgeordnetenhaus, sondern direkt vom Regierenden Bürgermeister ernannt bzw. entlassen. Das Paket der Verfassungsänderungen sieht allerdings mehr Rechte für die Abgeordneten auf Akteneinsicht bei Behörden vor.

Der Deal, mit dem sich Grüne und PDS das „Mehr" an Demokratie von CDU und SPD ertrotzt haben, wird im Vorfeld der Wahl nicht transparent gemacht. Der Wähler kann nur über einen Teil der Volksabstimmung entscheiden; darüber erhält er Informationen per Post. Daß er damit gleichzeitig auch der Schwächung des von ihm gewählten Parlaments gegenüber dem Regierenden Bürgermeister zustimmt, wird ihm verschwiegen.

Lorenz Matzat

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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