Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mit heiligen Steinen im Urlaub auf der Datenautobahn

Weltuntergang und Wiederauferstehung in Science Fiction Comics

Wer kennt sie nicht, die Bilder von Moebius. Seine Comics gehören zu den bekanntesten der SF-Literatur. Einer davon ist Der Incal, in dem John Difool, ein mittelprächtiger Detektiv, gemeinsam mit einer Betontaube gegen eine Supermacht von Technokraten ankämpfen muß. Sie wollen die Wiedervereinigung des schwarzen Incal, eines heiligen Steins, mit seinem weißen Pendant in die Wege leiten und damit die Welt retten – natürlich. Was anfangs wie eine typische Actionkomödie im Technozeitalter à la Das fünfte Element anmutet, entpuppt sich bald als esoterische Wende hin zur totalen Selbstaufgabe für ein neues, besseres Universum. Denn die Menschen sind widersprüchlich, streiten sich gerne und sind selten in der Lage, ihre Konflikte hintanzustellen, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Eben darum müssen sie alle sterben und dem Incal ihre Lebensenergie schenken, um ihm auf diesem Weg zu einer neuen Welt mit neuen Menschen zu verhelfen.

Geschwister dieser Art Weltdarstellung finden sich massenweise im Horror- und Trash-Genre der Comic-Kultur. Immer steht ein Incal für eine Macht, die die Welt beherrscht, ähnlich wie der magische Ring in Herr der Ringe. Gerät er in die falschen Hände, wird er zu einem hyperpotenten Instrument der Unterdrückung. Doch die Lösung des Problems liegt oft nicht einfach in der
Vernichtung der bösen Macht oder in der bloßen Aneignung des Incal, sondern in der völligen Zerstörung der bestehenden Welt, in der Apokalypse.

Das Spektrum der Darstellungen reicht von monströsen bis filigranen Zeichnungen. Das Böse wird oft in einer weichen, weiblichen Art gezeichnet, wobei hier schwach, schwammig, lange Haare und lange Finger als weibliche Attribute gelten. Dabei wird mit dem Muster von Gut und Böse gespielt. Die klassischen Farbaufteilungen für das Gute sind in der Regel helle Farben und für das Böse dunkle. Doch in den Comics verschwimmen diese Kategorien. Der Teufel ist mal goldgelb, hellblau oder eben schwarz. Die Übergänge sind fließend.

Auch die Kategorien gehen bei dieser Art der Darstellung ineinander über und sind nicht mehr klar zu unterscheiden. Manchen mag dies als gute und wichtige Eigenart solcher Comics erscheinen. Doch die Konsequenz ist ei-ne Utopie der völligen Vernichtung der Menschheit, in deren Folge eine Welt mit nur guten Menschen und ohne Konflikte entsteht.

Auch Enki Bilal versucht in Die Stadt die es nicht gab, eine Utopie zu entwerfen. Diese beruht allerdings nicht darauf, alles autoritär zu regeln, um Konflikte zu vermeiden. Die einzige Regel, die es hier gibt, ist der Zwang, immer freundlich zu bleiben. Dies gelingt, weil es keine ökonomischen Probleme gibt. Die Stadt kann sich selbst versorgen, und alle Menschen haben genug, um gut leben zu können. Doch am Ende ist auch diese Welt für Bilal keine lebbare Welt, weil die Menschen in seiner Stadt das Leben ohne Konflikte langweilig finden.

Witziger ist da Boucq. In Das Pepitaproblem beschreibt er die Folgen der Durchtechnisierung der Welt. Bei der Urlaubsreise auf der Datenautobahn gerät eine Familie am Ende in eine Welt, in der alles Leben durch ein schwarzweißes Karomuster zerstört wird. Zwischendrin trifft die Familie auf mehr als sieben Zwerge, die mit Fleiß und Akribie versuchen, der Zerstörung der lebendigen Vielfalt durch das Karomuster Einhalt zu gebieten. In ihrer Not, denn der Sieg des Karomusters bedeutet auch ihren Tod, bauen sie Refugien auf, in denen sie sich nach verlorenen Schlachten immer wieder erholen können. Doch auch diese sind bedroht. Hier hilft kein heiliger Stein, die Welt zu retten. Auch geht es nicht um die Zerstörung der bestehenden Welt als einziger Möglichkeit, um danach eine lebbare Welt zu errichten. Hier steht der Erhalt der noch existierenden Vielfalt auf dem Spiel! Vielleicht etwas, wofür es sich lohnt, sich einzusetzen, denn uns gibt es nur hier und jetzt ­ wem das egal ist, der kann sich ja gleich einsargen lassen!

Inett Kleinmichel

 
 
 
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