Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Science Fiction als Gegenwartsdiagnose

Demolition Man beschreibt Probleme heutiger Industriegesellschaften

Der Actionstreifen von Marco Brambilla (1993) ist sehenswert, obwohl er alle Klischees eines Polizeifilms bedient: Los Angeles im Jahre 1996 versinkt im Chaos. Ein guter Polizist, John Spartan (Sylvester Stallone), pfeift auf die Dienstvorschriften, um dem Gesetz zur Geltung zu verhelfen. Doch zur Strafe für sein selbstloses, regelwidriges Eingreifen wird er für 50 Jahre eingefroren. Sein Gegenspieler, Simon Phoenix (Wesley Snipes), wird auf die gleiche Art bestraft. Als sich letztgenannter bei einer Haftprüfung im Jahre 2032 befreit, wird auch Spartan wieder aufgetaut, um den Finsterling unschädlich zu machen. Nebenbei deckt er die Verschwörung auf, für die der psychopatische Phoenix eingesetzt werden sollte.

Die Methoden des Verbrechers und des Polizisten aus dem 20. Jahrhundert überfordern die Ordnungshüter der Megacity, die inzwischen San Angeles heißt: „Wir sind Polizeibeamte. Für Gewalttätigkeiten wurden wir nicht ausgebildet." Denn in der Zivilisation der Sauberkeit, Höflichkeit und des Friedens sind die Probleme des 20. Jahrhunderts unbekannt. Alle Laster wie Rauchen, Kontaktsportarten und der Austausch von Körperflüssigkeiten jeder Art sind verboten, weil man erkannt hat, wie ungesund sie sind. Waffen sind in das Museum verbannt, die Luft ist sauber und die Sonne scheint. Auferstanden aus Ruinen, scheinen in San Angeles paradiesische Zustände zu herrschen, die von den beiden Relikten aus vergangenen Zeiten empfindlich durcheinander gewirbelt werden.

Doch diese Idylle wird nicht nur durch Phoenix und Spartan bedroht, sondern auch durch Menschen, die in unterir-
dischen Stollensystemen hausen. Die „Scraps" haben sich dem Zwang zu Sauberkeit und Ordnung entzogen und unternehmen gelegentliche Guerilla-Attacken an die Oberwelt, um Graffiti zu sprühen oder Restaurants zu überfallen, in denen es noch echte Lebensmittel gibt. Während die Graffiti automatisch und unverzüglich wieder entfernt werden, lösen die anderen Aktionen erhebliches Unwohlsein aus. Sie sind „eine ständige Irritation für unsere Harmonie", wie der Erbauer und Chef der Stadt, Dr. Raymond Cocteau, sagt.

Spartan, der Demolition Man, muß sich in einer Welt zurechtfinden, die gleichwohl als wenig attraktive Alternative zu der Vorgängerstadt, dessen Zivilisation zusammengebrochen ist, gezeichnet wird. Zwar ist es Dr. Cocteau gelungen, das Verbrechen auszurotten ­ doch um welchen Preis! Er hat eine Art fürsorglicher Diktatur geschaffen, deren menschliche Kosten, die unausweichlich entstehen, wenn gesellschaftssanitäre Projekte umgesetzt werden, der Film allerdings nicht thematisiert. Er begnügt sich (und das ist sein Recht) mit der Darstellung des Ist-Zustandes und nimmt dem Problem damit etwas von seiner Schärfe.

Was den Film so interessant macht, ist die Darstellung zweier Parallelgesellschaften, die die Macher zweifelsfrei bei genauerem Hinsehen in ihrer eigenen Umgebung ­ den USA, aber sie hätten auch in Deutschland und Berlin fündig werden können ­ entdeckt haben. Die eine wird dominiert und organisiert vom Staat und gesellschaftlichen Zwischeninstanzen; das Leben der Menschen verläuft in geregelten Bahnen, halbwegs sicher und berechenbar. Die andere besteht aus Mitgliedern, die aus unterschiedlichen Gründen durch das Ordnungsraster der „offiziellen" Welt gefallen sind; sie leben von Schwarzarbeit, sind nicht krankenversichert oder haben keine Aufenthaltsgenehmigung. Die Bewohner beider Welten leben zwar weiterhin auf demselben Gebiet (daß die Scraps im Film unter der Erde verortet werden, ist wohl eher eine Metapher), orientieren sich jedoch an unterschiedlichen Bezugspunkten. Beide Welten kommen nur punktuell miteinander in Berührung; für die Scraps spielen Polizei, Sozialarbeiter u.a. eine zentrale Rolle. Ansonsten leben sie innerhalb ihres eigenen Netzwerks aus Flüchtlingsinitiativen, Stadtbüchereien oder anderen Anlaufstationen, die keine „Eintrittskarte" verlangen.

Demolition Man illustriert und kritisiert Ausgrenzungsprozesse in modernen Industriegesellschaften. Er bietet einen heiteren, leicht verständlichen Zugang zu diesem Problem und ist deshalb eine Empfehlung wert. Daß man ihn nicht als Dokumentation mißverstehen sollte, versteht sich von selbst. Er ist nicht mehr – aber auch nicht weniger – als ein gut gemachter Science-Fiction- Film, dessen Überzeugungskraft sich der politisch wachen Beobachtungsgabe seiner Macher verdankt.

Benno Kirsch

 
 
 
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