Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Foto im Verein

Die Galerie neunplus in der Borsigstraße als neuer Baustein

im Netzwerk der Fotokollektive

Mit neunplus ist Berlin-Mitte um einen Ausstellungsort für Fotografie reicher, der sich dem Charakter nach von reinen Galerie-Konzepten wie sie bei C/O Berlin, Argus Fotokunst, Wohnmaschine oder der Galerie J.J. Heckenhauer praktiziert werden, abhebt. neunplus ist eine Vereinsgalerie, ohne festen Künstlerstamm, die als Plattform agiert und neu hinzukommenden Künstlern eine Ausstellungsmöglichkeit bieten will, Anregung und Angebot, Experiment und Institution für freie Fotografen in einem ist. neunplus befindet sich in der Borsigstraße 9. Dort haben sich neun Fotografen im Verein zur Verbreitung „des guten Bildes!" zusammengefunden, die gleichzeitig als neun Vereinsgaleristen – daher der Name – das Programm gewählt haben: „Fotografengemeinschaft aus Berlin zur Förderung der Autorenfotografie". Das klingt etwas spröde, bezeichnet aber den Gegenstand genau.

neunplus wurde im letzten Jahr aus einer Initiative von FAS-Studenten, der Schule für Fotografie am Schiffbauerdamm (heute mit Sitz in der Mauerstraße 68), gegründet und ist mittlerweile zu einem heterogenen Verein, von der Schule abgenabelt, mit neuen Mitgliedern und mit eigenen Ausstellungsräumen gewachsen. Die Betreiber haben sich in Eigeninitiative einen Ort geschaffen, an dem Arbeiten besprochen, Kontakte hergestellt und eine soziale Schaltstelle entstanden ist. Der Prozeß ist im Fluß. Die Galerie versammelt Kreative, die sich durchaus ihrer Ausrichtung bewußt sind, jenseits der kommerziellen Fotografie, die Sicht auf die Dinge in den Mittelpunkt zu stellen.

Autorenfotografie ist hier im Selbstverständnis eine Form der bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit der Umwelt, die keinen Auftraggeber kennt, die sich ihr Sujet selbst wählt und die bewußt darauf verzichtet, beim Research- und Herstellungsprozeß in Funktionszusammenhänge gestellt zu werden, wie es beim zeitnahen Informationsbild des Fotojournalismus oder für die Fotostrecke im Auftrag für Zeitschriften der Fall ist. Wer fotografiert hier dann und wofür? Die Autorenfotografen sind Beobachter und Analytiker, Wanderer und Beschreibende. Eine eingrenzende Regel besteht ­ momentan ­ bei neunplus nicht. Im Gegenteil: der Ansatz ist, sich auszutauschen, die frei flottierenden Kräfte und Fähigkeiten von Bildproduzenten zusammenzubringen. Dafür ist ein monatlicher Jour fixe eingerichtet, der Interessierten offensteht. Eine Bildbesprechung, wie sie die meisten noch aus der Ausbildung kennen, findet hier wieder statt, als eine Form der Auseinandersetzung, auf die viele Fotografen als Einzelarbeiter verzichten müssen. Technische und inhaltliche Fragestellungen, Vernetzung und Kontaktbörse, Kreativpool und Informationsumschlagplatz sind Angebote für die hinzukommenden Kollegen. Wo sich Grenzen
setzen lassen, um Professionalität abzustecken, wird sich zeigen, darum wird auch bei neunplus gerungen werden müssen. Schon weil die Überproduktion, das schier unermeßliche Bildangebot im Netz dazu zwingt, sich zu verorten. Tendenzen unter Fotografen folgend, sich in Gruppen Gleichgesinnter zusammenzuschließen, um das eigene wie das kollektive Bildwerk zu verbreiten, dazu haben die neunplus-Macher mit dieser mutigen Selbstgründung einen ersten Schritt unternommen. Dies auch ganz klar vor dem Hintergrund, daß diese Formen außerhalb Deutschlands schon existieren. Diese Fotokollektive heißen Tangophoto (www.tangophoto.net), ein international agierendes Fotografennetzwerk, Blowup-Photo (www. blowup-photos.org) mit belgischem Hintergrund, Temps Machine aus Frankreich oder Lieu-dit ebenfalls aus dem Nachbarland. Zum Teil sind diese netzwerkartigen Aktionszonen miteinander verlinkt, in jedem Fall sind sie in der Online-Bilderdatenbank Picturetank (www. picturetank.com) vereint. Personelle Schnittstellen existieren, so hat neunplus eine Ausstellung von Jan Michalko (Tangophoto) und Cécile Michel (Blowup-Photo) in Planung. Die letzte Ausstellung wurde mit „Aufbaustellen" von Karen Linke im Juni eröffnet.

Die Fotografen sind Beobachter in der Welt, sie sammeln Bildeindrücke, von spektakulär bis zärtlich nah. Von schwimmender Erinnerung vage bleibender Räume bis zur präzisen Analytik des Ist-Zustandes reicht die Bandbreite der bisher zu sehenden Arbeiten. Grundsätzlich wird keine Technik, kein Format und kein künstlerischer Ansatz ausgeschlossen, was nicht zu einem wahllosen Mix führt, eher eine experimentelle Laboratmosphäre begründet ­ eine Atmosphäre, die neunplus ausmacht.

Christina Schachtschabel

 
 
 
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