Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Was es zu wählen gibt (II)

Linkspartei.PDS: programmatisch diffus, Oppositionsparteien: hoffnungslos profiliert

Die L.PDS holte bei den Wahlen von 2001 22,6 Prozent der Stimmen und zog mit der CDU fast gleichauf. Seitdem bildet sie – noch als PDS – mit der SPD die „rot-rote" Koalition. Die scheint erfolgreich gearbeitet zu haben, denn wenn man sich das Wahlprogramm der L.PDS anschaut, dann entdeckt man, daß dort viel Platz darauf verwendet wird, sich der vergangenen Erfolge zu rühmen. Dagegen bleiben die Aussagen, die sich auf zukünftige Planungen beziehen, eher knapp gestreut. Begonnene Vorhaben „sollen fortentwickelt werden" und man „setzt sich weiter dafür ein", dieses oder jenes zu tun, lauten die gängigen Formulierungen.

Auffallend konkret äußert man sich zu einer Reform der Ein-Euro-Jobs, die man in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit einem Mindestlohn von 1000 Euro umwandeln möchte. Doch das Land hat hier bloß einen geringen Handlungsspielraum, denn die Rahmenbedingungen regelt der Bund. Also bescheidet sich die L.PDS mit einer vagen Versprechung: Sie „wird weiterhin politisch Druck entfalten, damit aus dieser vernünftigen Idee Realität wird". Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach Einführung eines Sozialtickets für den ÖPNV für 18 Euro ­ „was allerdings voraussetzt, daß sich die Bundesagentur für Arbeit an der Finanzierung beteiligt und auch die Verkehrsbetriebe ihre Möglichkeiten ausschöpfen."

Zwischen dem, was man will, und dem, das man tut, klafft eben häufig eine Lücke. Als der SPD/CDU-Senat daran ging, die Wasserbetriebe teilweise zu privatisieren, beschwerte sich Harald Wolf als Chef der oppositionellen PDS über die Eile des Senats, die die Kontrolle des Deals durch die Abgeordneten unmöglich mache. Als er später Wirtschaftssenator wurde, schien er seine Kritik vergessen zu haben. Nun besinnt sich seine Partei zwar darauf, daß die Teilprivatisierung mit dem Ethos der L.PDS nicht vereinbar ist, weshalb sie „nach strategischen Varianten für eine Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe" sucht. Daß vor diesem Hintergrund ausgerechnet Spitzenkandidat Wolf als Garant für „Erhalt und Stärkung der öffentlichen Unternehmen Berlins" ausgerufen wird, irritiert dann aber doch.

So etwas will der Berliner Landesverband der WASG nicht unterstützen, nicht durch Fusion und nicht als Koalitionspartner. Obwohl von der Bundesspitze der eigenen Partei massiv unter Druck gesetzt, hat er sich beharrlich und erfolgreich geweigert, seine Wahlanzeige zurückzunehmen. Lieber gefährdet er den Fraktionsstatus der Linkspartei im Bundestag, als daß er sich auf das Bäumchen-wechsel-dich eines Harald Wolf einläßt. Eine Regierungsbeteiligung zählt deshalb erklärtermaßen nicht zum Ziel der WASG, man will lieber „soziale Opposition im Abgeordnetenhaus" sein.

Nach Meinung der WASG ist Berlin finanziell nicht deshalb am Ende, weil nicht genug gespart wird, sondern weil das vorhandene Vermögen ungerecht verteilt ist. „Die falsche Leitlinie der Haushaltskonsolidierung hat Berlin zur Armutshauptstadt Deutschlands gemacht." Man macht folgende Rechnung auf: Die Verschuldung aller öffentlichen Haushalte beträgt 1,483 Billionen Euro, das private Geldvermögen in Deutschland 4,34 Billionen Euro. „Das bedeutet: Wenn es gelänge, mit einem Notopfer Haushalt' das obere Drittel des Geldvermögens in Deutschland abzuschöpfen, wären Bund, Länder und Kommunen auf einen Schlag schuldenfrei."

Die aus dieser Analyse abgeleiteten Forderungen werden ­ im Gegensatz zur L.PDS ­ zahlreich und konkret erhoben und lassen ahnen, daß das Verhältnis der WASG zum Geld eher locker ist: Sie fordert ein öffentliches Beschäftigungsprogramm für 10000 Arbeitsplätze; ist gegen Arbeitszeitverlängerung und -verlagerung; für öffentliche Investitionen, die Aufhebung des Einstellungsstops und den Erhalt der Sparkasse, Hartz IV soll weg, der Flächentarifvertrag wieder her und so fort. Insgesamt gilt: „Aufgabe linker Politik ist es, die Bedürfnisse der abhängig Beschäftigten zur Sprache und zur Geltung zu bringen."

Insoweit ein klares Programm. Das hat die WASG mit der FDP gemeinsam. Seit Jahren von den Fleischtöpfen einer Regierungsmitgliedschaft ausgeschlossen, setzen die Liberalen inhaltlich allerdings auf das bekannte Konzept „Freiheit". Und auf Privatisierung. In der Sozialpolitik wollen sie das „Bürgergeld" einführen. In der Innenpolitik lehnen sie die ereignisunabhängige Videoüberwachung öffentlicher Plätze ab und fordern das Recht auf Akteneinsicht für die Bürger. Sie wollen die Entlastung der Polizei durch Verlagerung von Aufgaben, „die nicht zu ihrem Kernbereich gehören", an private Sicherheitsdienste. Etc. pp. Die Forderungen sind zahlreich, profiliert und detailliert. Man weiß, woran man bei der FDP ist.

Bündnis 90/Grüne legen sich ebenfalls fest: Sie wollen nicht weniger ausgeben, sondern „mehr Geld für die unerläßliche Zukunftsgestaltung" investieren. 100 Millionen Euro Mehreinnahmen erwartet man, und ein Fünftel soll für „eine bessere Ausbildung der jungen Generation" verwendet werden. Woher soll das Geld kommen, wenn man doch erkannt hat, daß vor allem der Bund die Rahmenbedingungen für die Genesung der Wirtschaft setzt? Anhebung der Gewerbesteuer auf Potsdamer Niveau und Druck machen im Bundesrat, Abstoßen von Landesunternehmen und Senkung der Personalkosten, lautet hier die Devise.

Programm und Praxis einer Partei ­ das scheinen zwei grundverschiedene Dinge zu sein. Die L.PDS beweist es. Vielleicht ist es kein Zufall, daß ihr Programm so schwammig ist. Und daß sich die anderen, die zur Zeit der Opposition angehören, so profiliert zeigen. Die WASG hat die Gefahr erkannt, daß sie sich verändern könnte, und verzichtet von vornherein darauf, in die Regierung zu streben; ihr Programm wird dadurch nicht überzeugender. Da Papier bekanntermaßen geduldig ist und die Halbwertzeit von Wahlversprechen kurz (Mehrwertsteuer!), sollte man den Verlautbarungen nicht zu große Bedeutung beimessen. Programme dienen vor allem der Selbstvergewisserung der Parteien und werden vor allem von professionellen Politikbeobachtern gelesen, aber nicht vom „normalen" Wähler. Seine Entscheidung, wo er am Wahltag sein Kreuz setzt, entspringt vor allem dem Gefühl, seine Interessen gut aufgehoben zu wissen.

Benno Kirsch

 
 
 
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