Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

musik für die massen

Ohne Worte

„Das Kammerflimmer Kollektief bastelt schon seit Jahren an der Schnittstelle zwischen Jazz und Elektronik. Auf einer scheinbar unendlich weiten Fläche vermischen sich minimale Jazzelemente mit elektronischen Klick- und Knarzlauten. Der Hörer wird nicht an die Hand genommen und durch diese Weiten geführt, er muß seinen eigenen Weg finden." So war es hier vor zwei Jahren anläßlich der Veröffentlichung von Hysteria zu lesen. Nach Hysteria hat das Kollektief noch ein weiteres, wesentlich stärker am Free Jazz angelehntes Album mit dem Titel Absencen aufgenommen, das nur dezent mit Elektronik unterfüttert war. Dieses Album diente nun als Vorlage für eine Remix-CD mit dem unprätentiösen Namen Remixed (Staubgold). In den Überarbeitungen von Jan Jelinek, Radian, Aoki Takamasa und anderen Soundtüftlern und DJs bekommen die Stücke eine elektronische Ummantelung. Hört man die Remix-CD, ohne zuvor noch einmal das Original herausgeholt zu haben, stellt sich Begeisterung über die Mischung aus abstrakt unterkühlter Elektronik und weichen, vollen Beats ein. Remixed ist elektronischer Minimal Jazz, der sich nicht in selbstgefälligen Fehl-Verschaltungen ergeht. Allerdings wird beim Wiederhören des Originals auch deutlich, wie hoch der Preis für diese geschmeidigen Remixe ist – denn all die schön schrägen Saxophoneinlagen und anspruchsvollen Improvisationen bleiben im digitalen Ausgang hängen.

Figur 5 (Morr Music) heißt das genau fünfte Album von Couch. Couch kommen aus München und haben sich ­ fast ­ fünf Jahre Zeit für dieses Album gelassen. Das mag vielleicht auch daran liegen, daß diese Art von Musik, die unter dem weitgefaßten Begriff Postrock firmiert, irgendwie in die Krise geraten ist. Einerseits handelt es sich bei Postrock um klassische Songstrukturen, andererseits um minimal-repetitive Flächenmusik mit gewisser Nähe zum Jazz. Klar ist nur, daß es zu Gitarre, Baß, Schlagzeug und Keyboards keinen Gesang geben soll. Die Musik, die dabei entsteht, ist weder Rock noch Elektronik ­ und doch hatte sich dieser musikalische Hybrid zwischen den Stilen festgefahren. Da paßt es ganz gut, daß das erste Stück auf Figur 5 „Gegen alles bereit" heißt und, so wie es der Titel verspricht, ohne Umschweife startet. Mit den wuchtigen Arrangements zielt Figur 5 auf den Bauch oder vielmehr die Beine, mit der teilweise strengen Struktur der Songs eher auf den Kopf. Damit der sich nicht nur an der Strukturanalyse erfreut, wird er qua Titelgebung in einen dialektischen Prozeß einbezogen, denn nach dem Opener „Gegen alles bereit" folgt der Song „Alles sagt ja", und zum Ende dann schließlich die Synthese unter dem Titel „Manchmal immer wieder" ­ was in diesem Fall durchaus auch für das Hören der CD gelten kann.

Marcus Peter

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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