Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

So richtig langweilig

Berliner U-Bahnlinien (II): die U3

Mitte 12 km, Rathaus Zehlendorf 2,5 km, verkündet das Straßenschild am Thielplatz in Dahlem, wo sich einer der Bahnhöfe der U3 befindet. Hier steige ich jeden Morgen aus, um zur Freien Universität zu gehen. Hier, weit draußen, ganz im Südwesten Berlins, wo sich hübsche Häuser mit Parks und Institutsgebäuden abwechseln. Wo Mitte, dieser angenehm laute, hektische, durchgeknallte Stadtteil, ganz weit weg ist.

Der Bahnhof Thielplatz wirkt ein wenig, als stünde er in einem Freizeitpark: Weil überirdisch, wollten die Architekten die Eingänge besonders aufwendig gestalten. Der Treppenaufgang aus Backstein, wie ein kleines Haus gebaut, mit einer großen Uhr und dem Bahnhofsschild in golden glänzendem Metall. Am Kiosk hole ich mir ein Cornetto. Leere auf dem Bahnsteig, es riecht nicht so charakteristisch nach U-Bahn wie anderswo. Die Bahn rumpelt heran, zusammen mit iPod-hörenden Studierenden drücke ich mich in den Wagen. Der nächste Halt: Dahlem-Dorf. Schon der Name ist bezeichnend: Hier ist der Treppenaufgang wie ein Bauernhaus gestaltet. War es beim Thielplatz also wie im Freizeitpark, ist es hier wie im Streichelzoo. Vom nächsten Bahnhof, Podbielskiallee, ist lediglich zu erwähnen, daß hier mal einer ein kleines „i" vor das Stationsschild gemalt hat: iPodbielskiallee.

Ab jetzt geht es unterirdisch weiter. Die Stationen Breitenbachplatz, Rüdesheimer Platz und Heidelberger Platz protzen mit Mosaiken und hohen, gewölbten Decken. Hier hatte und hat man Geld. Ab und zu steigt auch mal eine wohlhabend aussehende ältere Frau ein. Und mischt sich unter die Studierenden, die immer noch iPod hören, Frauenzeitschriften lesen oder Coffee to go trinken. Die verschwinden dann aber am Fehrbelliner Platz, und jetzt wird es erst so richtig langweilig. Erwähnenswert erscheint mir nichts, erst wieder die Endstation Nollendorfplatz: Es ist der U-Bahnhof, an dem mit den vier Kleinprofillinien U1, U2, U3, U4 die meisten Berliner U-Bahnlinien halten. Und ein verwirrendes Gedränge von Menschenströmen, Anzeigetafeln und Lautsprecheransagen verursachen. Ich steige die Treppen hinauf, auf den Nollendorfplatz. Der wirkt im Mittagslicht aber wiederum reichlich langweilig. Ich hole mir ein Bier. Nach einigem Suchen finde ich zurück zur U-Bahn, jetzt in Richtung Krumme Lanke. Nach 10 Minuten Langeweile kommen dann die bisher unbekannten Stationen Oskar-Helene-Heim, Onkel Toms Hütte und die Endstation Krumme Lanke. Ich steige aus dem Zug, trinke aus, und mir geht auf: Die U 3 ist die perfekte Linie für den sonntagmorgendlichen Kater! Es ist nicht laut, nicht dreckig und nicht eng. Kontrolliert wird hier nie, was soll das den Sheriffs auch bringen, hier haben alle ihr Semesterticket. Kein Gepöbel, keine Verrückten, keine Obdachlosen. Die langweiligste U-Bahnlinie Berlins. Vielleicht genau das richtige, wenn man verkatert ist. Aber auch nur dann.

Marco Gütle

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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