Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Folgenreiche Erfahrungswerte

Die Polizei hat wieder eine Liste „gefährlicher Orte" erstellt

Eine größere Aufmachung in der Zeitung mit den besonders guten Beziehungen zur Staatsmacht war gar nicht möglich: „Nach Information der Polizei: Berlins gefährlichste Orte" war der BZ die Titelseite plus zwei Doppelseiten im Innenteil wert. Doch was das Boulevardblatt als Sensation in die Welt hinausposaunte, ist gar keine. Denn daß die Polizei immer wieder eine solche Liste erstellt, ist bekannt. Neu ist, daß sie ihren Weg in die Presse gefunden hat und nicht erst mühsam von Abgeordneten auf dem Wege kleiner Anfragen an den Senat in Erfahrung gebracht werden mußte.

Aber nicht nur der Weg, auf dem die Liste das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, ist bemerkenswert. Auch sie selbst verdient genauere Beachtung. Siebzehn Orte innerhalb des S-Bahn-Rings und die Spandauer Altstadt sind demzufolge „gefährlich". Man findet die üblichen Verdächtigen wieder: Kurfürstenstraße, Weinbergspark und Hasenheide sind darunter, aber auch der „Mitte-Club" in der Dircksenstraße, die U8 von Hermann- bis Osloer Straße und der Hardenbergplatz. Auffällig an der Zusammenstellung ist die Häufung des Delikts „Drogen" ­ an 14 von 18 Orten registriert die Polizei einschlägige Vorkommnisse. Interessant auch die Erwähnung der Oranienburger Straße, wo die Polizei ausschließlich Prostitution registriert hat. Die BZ war vor Ort und ergänzt: „Wirte klagen über Taschendiebstahl."

Spätestens hier beginnt die Lektüre zu irritieren. Denn was heißt eigentlich „gefährlich"? Über die Gefährlichkeit von Straßenräubern, die im Kleinen Tiergarten aufgefallen sind, dürfte Einigkeit bestehen. Drogensüchtige sind zwar grundsätzlich harmlos, können jedoch psychotische Anfälle erleiden. Aber warum sollte Prostitution gefährlich sein? Oder ist damit gemeint, daß Prostituierte zu Opfern zahlungsunwilliger Freier oder gewalttätiger Zuhälter werden können? Bloß warum werden diese Straftaten nur in der Oranienburger Straße registriert? Wird woanders etwa nicht angeschafft?

Der Begriff „gefährlicher Ort" stammt aus dem Polizeigesetz, es handelt sich um eine Ermächtigung der Polizei zu verdachtsunabhängigen Personenkontrollen. Man muß sich gar nichts zuschulden kommen lassen oder sich verdächtig verhalten, es reicht aus, an einem Ort aufzutauchen, von dem die Polizei annimmt, daß hier „Straftaten von erheblicher Bedeutung" verabredet, vorbereitet oder verübt werden, gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird, Straftäter sich verstecken oder Prostituierte anschaffen. Welcher Ort auf die Liste kommt, liegt im Ermessen der Beamten. „Tatsachen, also dem Beweis zugängliche Umstände, zu denen polizeiliche Erfahrungen gehören", reichen aus.

„Polizeiliche Erfahrungen" ­ das kann alles sein. Insofern ist die Liste vor allem Ausdruck dessen, was die Beamten für bearbeitungsbedürftig halten, keinesfalls aber die Beschreibung von „Gefahren", die an einem bestimmten Ort drohen. Es läßt sich nämlich nicht pauschal entscheiden, was gefährlich ist. Kriminalität trifft jeden anders, weil jeder anders damit umgeht. So werden ältere Damen statistisch gesehen seltener zu Opfern als junge Männer, haben aber größere Angst. Die Liste hilft im Alltag also nicht weiter.

Problematisch ist darüberhinaus, daß sie – eigentlich – geheim ist. Die Auflistung einer Örtlichkeit bildet die Basis für einen schweren Eingriff in das Recht, nicht behelligt zu werden, wenn man sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Damit ist man gegenüber dem Polizeibeamten, der einen kontrollieren möchte, auf Treu und Glauben angewiesen, daß sein Tun rechtmäßig ist. Durch die schwammige Formulierung dessen, was ein „gefährlicher Ort" sein kann, wird der Rechtsschutz des Bürgers erschwert, wenn nicht sogar vollständig unterlaufen. Insofern kann man für die Kumpanei zwischen Polizei und BZ sogar dankbar sein.

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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