Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Meckerstadt mit abnehmender Textorientierung

Das Stadtforum versucht sich an „Transformationsstrategien" für Berlin

Soviel Offenheit ist dankenswert: Auf dem Podium des Stadtforums stellte die Moderatorin den Soziologen Andreas Kapphan als Stadtforscher vor, der „insofern Vertreter der Bürger" sei: „Einen mußten wir ja einladen." Ein Satz, der auch als Kurzfassung der Geschichte des Stadtforums verstanden werden kann. Die Veranstaltungsreihe, in den 90ern von der Senatsbauverwaltung als öffentliches Diskussionsforum zur Berliner Stadtentwicklung initiiert, war nicht zuletzt an ihrem Erfolg eingegangen: Als Ende 1996 der damalige Senator Peter Strieder sein umstrittenes „Planwerk Innenstadt" präsentierte, waren Hunderte von Bürgern und Fachleuten erschienen – auch, um ihren Protest zu äußern. Soviel Demokratie schien dem Senator dann doch eher hinderlich, irgendwann verschwand das Stadtforum in der Versenkung. Erst Strieders Nachfolgerin Ingeborg Junge-Reyer sorgte 2004 für eine Neuauflage. Eine breite Öffentlichkeit scheint aber auch diese nicht unbedingt erreichen zu wollen: Im Saal der Akademie der Künste im Hanseatenweg tummelten sich vornehmlich Anzug- und Entscheidungsträger neben potentiellen Auftragnehmern.

Foto: Marion George

Waren die Stadtforen der 90er noch vom euphorischen Größenwahn der Berliner Politik geprägt, die die Stadt als Wirtschafts- und Dienstleistungsmetropole, als „Ost-West-Drehscheibe" und Zielparadies der heiß ersehnten „Urbaniten" herbeiphantasierte, so verrät das Remake durchaus einiges über den Aufschlag in der Wirklichkeit ­ und die allgemeine Ratlosigkeit, die wie ein stinkender toter Fisch erstmal in professionelle Euphemismen eingewickelt wird. Immerhin hat man realisiert, daß Berlin nicht mehr im „Rampenlicht der Weltöffentlichkeit", sondern seit 15 Jahren im Standortwettbewerb steht. Unter dem Titel „Berlin in Transformation ­ Strategische Ansätze für die Stadtentwicklung" hat der für das Stadtforum berufene wissenschaftliche Beirat Thesen formuliert, die zwischen Selbstmitleid und -beschwörung herumschlingern. „Berlin ist eine junge Hauptstadt, die als solche bisher nicht hinreichend akzeptiert wird" und die ­ einmal mehr ­ „ihre Identität noch finden muß". Die postindustrielle Gesellschaft erfordere eine „Transformationsstrategie", die Berlin als „größte Metropole Deutschlands positionieren" und sich an den „Ansprü-chen der postindustriellen kreativen Klasse orientieren" sowie „Leitprojekte" hervorbringen soll.

Gefaßt vernahm das Kummer gewohnte Publikum auch noch die absurdesten Statements und banalsten Mantras des Podiums, auf dem neben den Beiratsmitgliedern auch Vertreter des Unternehmertums, der Medien und der Wissenschaften als „kritische Experten" versammelt waren. Berlin sei eine großartige Stadt mit vielen Problemen. Eine viel zu staatshörige Meckerstadt, in der vieles erreicht worden sei, aber nicht angemessen gewürdigt werde. Der überhaupt der reiche bürgerliche Philanthropismus fehle. Eine neue Stadt, die nichts mehr mit der vor 1989 zu tun habe, die auch Neukölln sei, nicht aber Paris. Eine Stadt mit „abnehmender Textorientierung". Eine Stadt, die sich profilieren, wie London von den „creative industries" profitieren, auf den Dienstleistungssektor, „neue Industrien" und wissensorientierte Branchen orientieren und überhaupt unternehmensfreundlicher werden müsse. Die ­ natürlich ­ Eliten, Eigenverantwortung, Enthusiasmus brauche. Souverän wirbelte man Floskeln wie „Berlin nach vorn bringen", „Wissenschaft muß Chefsache werden", „Kreativität muß Wirtschaft werden" und Schlagworte wie Clusterstrategien, räumliche Konzentration, zukunftsorientierte Branchen und best-practice-Netzwerke durch den Saal. Die Berliner Diskurse sind ja genau deshalb so unwiderstehlich, weil sie erfrischend schwachsinnige Statements wie dieses generieren: „Das Kreative ist hier! Angie ist da, das MoMa ist da, die Clubs sind da." Geistreicheres, könnte man noch hinzufügen, war auch schon mal da.

Weil das mit der Wirtschaftsmetropole nicht so richtig geklappt hat, setzt man nun ­ mit leichter Verspätung und erstmal theoretisch ­ auf Strategien, mit denen andere Großstädte schon seit zwanzig Jahren die Deindustrialisierungsprozesse zu kompensieren suchen: „Aufwertung" durch Kultur- und Medienindustrie, Wissenschaft, Verkehrsknoten. (Daß Berlin nun beispielsweise eine „Agentur für Zwischennutzungen" einrichten will, ist nett ­ nur sollte dann auch jemand gelegentlich dem landeseigenen Liegenschaftsfonds mitteilen, daß das Verhökern kommunaler Immobilien zu Maximalpreisen dabei eher kontraproduktiv ist.) Und lediglich Stadtforscher Kapphan warnte davor, den lange vernachlässigten Kultur- und „Kreativ"-Sektor plötzlich als ökonomisches Potential zu überschätzen und durch Beplanung genau jene Nischen zu vernichten, in denen diese Milieus überhaupt existieren können. Die von der Senatsverwaltung entwickelte Karte der Berliner „Strategieräume", die u.a. das Planziel „innovativer urbaner Milieus" von Wedding und Moabit über die bereits hemmungslos „aufgewerteten" Mitte-Bereiche bis nach Neukölln zieht, wirkt da schon fast wie eine Drohung (Billignischen für Jungkreative mit dem Nebeneffekt der „Aufwertung von Problemquartieren"?) ­ wüßte man nicht, daß Berlin schlicht zu arm ist für eine flächendeckende Aufhübschung, deren Kehrseite eben jene Segregation ist, über deren Folgen nun lamentiert wird.

Eliten, urbane Mittelschichten, innovative Kreative ­ die Berliner Wirklichkeiten verwaberten im euphemistischen Nebel. Am Ende sollte die Moderatorin Recht behalten: Andreas Kapphan war tatsächlich der einzige, der überhaupt von den real existierenden Bewohnern der Stadt sprach und sich auch nicht scheute zu sagen, daß die hohe Armut das Problem in Berlin sei. Der von der Notwendigkeit der Förderung armer Quartiere und besserer Schulen sprach. Der die scheinheilige Forderung der Übernahme staatlicher Aufgaben durch „die Zivilgesellschaft" kritisierte: Dann müsse man konsequenterweise auch Verantwortung und Geld an diese abgeben und sie nicht permanent kontrollieren wollen. Und der zu Recht fragte: „Wer repräsentiert eigentlich die Zivilgesellschaft?"

Draußen vor der Tür: ein wohltuend normaler Moabiter Freitagabend, Curry- Gerüche, Billigläden, herumtobende Migrantenkinder, „Suppen-Paule" an der Ecke. Die „abnehmende Textorientierung" Berlins scheint manchmal ganz gesund zu sein. Vielleicht eine Art Selbstschutzreflex gegen Gehirnerweichung.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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