Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Im Angebesystem der Kunst

Kraft durch Schadenfreude: Thomas Kapielskis verblasenes Allerlei

Daß Thomas Kapielski im neuen Merve-Bändchen abermals die Geschichte von seinem Springbrunnen-Entwurf anno 1987 – Sie wissen schon: der Brunnen, der unberechenbar auf die Passanten spritzen sollte – auftischt, ist schon fast dreist zu nennen. Kapielski ist das natürlich bewußt, hofft er doch kokett und vergeblich auf die „Kraft der Variante": „Und es geht ja auch überhaupt nicht darum, was, sondern wie man variantenreich die gleichen Geschichten erzählt!" Schreibt es hin und erzählt die Geschichte, wie er sie immer erzählt. Zu diversen ollen Kamellen gesellen sich einige Interviews, die über größere Strekken überaus amüsant zu lesen sind, einem manchmal aber auch am Verstand der Interviewer zweifeln lassen. „Bist du ein deutscher Dichter?" fragt doch tatsächlich einer.

Nun, soviel wie der Merve Verlag drucken will, kann der Kapielski eben nicht schreiben. Und offenbar druckt der Merve Verlag sehr gerne Kapielski. Ich vermute mal, daß sich die Texte des Westberliner Bohème-Originals einfach besser verkaufen als Bücher über „Heidegger und die Kybernetik" oder „Hyperkulturalität". Und ich gebe auch unumwunden zu, daß ich sie lieber lese ­ nicht nur, weil ich sie besser verstehe. Wenn der neue Kapielski aber nur ödestes Recycling wäre wie, sagen wir, irgendein Bändchen mit Grünbein-Essays oder ähnlichem Quatsch, dann würden wir ihn natürlich keiner Besprechung im scheinschlag würdigen.

Das Buch, das im Untertitel etwas provokant „Texte zur Kunst" heißt und damit auf die gleichnamige Zeitschrift anspielt, die für Kuratorenprosa mit größtem intellektuellen Prestige steht, enthält nämlich auch Texte über den Kunstbetrieb, die es in sich haben. Daß Kapielski anders als manche seiner Kumpane im Westberlin der achtziger Jahre als Künstler nie groß herausgekommen ist, mag daran liegen, daß er einfach nicht gut genug ist, vielleicht aber auch nur an seiner Faulheit oder mangelnden Selbstüberhebung. Andererseits ist der in vielen Sparten tätige Neuköllner seit einigen Jahren ein etablierter Autor, und so ist er verbittert genug, um einen scharfen, bösen Blick auf den Kunstbetrieb zu richten, aber auch wieder nicht so frustriert, daß das ohne Sinn und Verstand geschehen würde.

„Gute Kunst setzt sich durch, weil man gut nennt, was sich durchsetzt." Mit dem tautologischen Bonmot ist die Stoßrichtung der Kapielskischen Kunstschelte vorgegeben. Er mokiert sich über den Fetisch Katalog, über das „verunsicherte, eingeschüchterte Kunstpublikum", über die Dummschwätzerei der Kuratoren, die sich die „Kommentarbedürftigkeit der Moderne" zunutze machen. „Es ist mir bis heute peinlich, als Beruf ,Künstler' anzugeben", klagt Kapielski. „Die Welt ist hinlänglich belästigt. Da braucht es nicht auch noch die trostlosen Angebereien der Künstler. Nur Zeichnungen, Pläne, Fotos und Texte will ich noch billigen. Dezentes Flachwerk verborgen in Mappen und Kladden." Daß er nämlich gar nichts gelten ließe, kann man ihm nicht vorwerfen. Und wenn er als seine Heroen Dieter Roth und Martin Kippenberger nennt, dann weiß man, daß man sich dem Kunstkommentator Kapielski durchaus anvertrauen kann.

Die Verlogenheit der Kunstverwalter, die so gerne „provokante" Kunst auf ihren Schild heben, illustriert Kapielski anhand einer Erfahrung mit der Berlinischen Galerie. Die hatte einst anläßlich einer Ausstellung in Leipzig Künstler aufgefordert, über Werke aus ihrer Sammlung zu schreiben. Kapielskis Text, der den Umstand, daß dies für den Hungerlohn von 80 DM geschehen sollte, thematisierte, wurde dann abgelehnt: „Solche Absagen kommen immer etwas verschämt daher, sie mauscheln untertischs die unappetitlichen Fälle von Regelverstoß fort. Denn unsere freie Meinungsäußerung steht ja normalerweise fest auf schon unbewußt funktionierender Selbstzensur."

Ach ja: Daß sich die Merve-Raute auf dem Umschlag so merkwürdig bläht und das Ding Anblasen heißt, erklärt sich dadurch, daß es anläßlich einer Edition erscheint, die Kapielskis Gesammelte Schriften als Gesamtluftwerk, als aufblasbare Bücherreihe präsentiert. Lustige Idee.

Florian Neuner

* Thomas Kapielski: Anblasen. Texte zur Kunst. Merve Verlag, Berlin 2006. 9,80 Euro

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 03 - 2006 © scheinschlag 2006