Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

All we hear is radiotesla

Im Podewil kann man abseits des Schaumschlägertums Radio hören

Foto: Hans Bellonio

Nikola Tesla wurde 1856 in Kroatien geboren, starb 1943 in New York und wird für das, was er dazwischen so getrieben hat, von manchen Kennern des eher technischen Metiers als einer der größten Erfinder aller Zeiten bezeichnet. Denn es war Tesla, nicht Edison, der Energieübertragung mittels Wechselstromtransformation entwickelte, und es war Tesla, nicht Marconi, der das Radio erfand. Als wäre das nicht genug, hat Tesla seit einiger Zeit nun auch einen postumen Aushilfsjob als Namenspatron des Betreibers des Podewil. Was läge aus Sicht seines derzeitigen Arbeitgebers also näher, als der nicht mehr ganz so rüstigen Aushilfskraft dadurch zu huldigen, daß man sich dem von ihr erfundenen Medium zuwendet?

Diese Frage war natürlich rein rhetorisch. Nichts liegt näher. Und deshalb gibt es seit Mai 2005 das wirklich tolle Projekt radiotesla. Das Grundkonzept des von Martina Groß, Andreas Hagelüken, Séamus O'Donell, Moritz von Rappard und Johannes Wilms realisierten Projekts ist schlicht, aber wirkungsvoll. Man hört sich zusammen eine aus den Archiven der Sendeanstalten herausgesuchte Radiosendung an und diskutiert anschließend darüber. Jeden Monat gibt es ein Thema, jeden Mittwoch eine Veranstaltung, und wöchentlich wechseln die Sparten: Auf „Hörspiel" folgt „Feature", dann kommt „Radiokunst" und anschließend die etwas mysteriös klingende Sparte „Grenzen", die sich den besonders unkonventionellen und freien Formen widmet. Gibt es einen fünften Mittwoch im Monat, so wird ein Bonustrack angehängt, der das jeweilige Monatsthema vertieft. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei, die Klangqualität ist gut und die Themen sind spannend. Nachdem man sich in den vergangenen Monaten zum Beispiel mit den Themen „Funkstille", „Rauschen", „Elektrizität", „Live" und „Kino" befaßt hatte, war im Monat März „Krieg" an der Reihe. Am dritten Mittwoch ­ Tag der Radiokunst ­ gab es einen ganz besonderen Leckerbissen für die Freunde gesprochener Worte und elektronischer Klänge: das Warheads-Oratorium von Romuald Karmakar und Michael Farin.

Karmakar, Regisseur von Filmen wie Der Totmacher oder Manila, hatte in den Jahren zwischen 1989 und 1992 den Dokumentarfilm Warheads gedreht, der sich mit dem Werdegang und der Befindlichkeit zweier Berufskrieger beschäftigt. Dem Zuschauer wird zum einen das Leben des bayerischen Ex-Fremdenlegionärs Günther Aschenbrenner nahegebracht, der 1958 in die Französische Fremdenlegion eintritt und in seiner 20jährigen Dienstzeit unter anderem an militärischen Operationen in Algerien, im Tschad und in Djibouti beteiligt ist. Zum anderen wird der noch aktive schottische Söldner Karl Penta vorgestellt, der zur Zeit der Entstehung des Films in Gospic (Kroatien) im Einsatz ist. 1997 wurde aus dem Tonmaterial des Films und eigens komponierter Musik das Warheads-Oratorium für den bayerischen Rundfunk geschaffen, der von Bernhard Jugel, Zeitblom und Kalle Laar realisiert wurde.

Die beeindruckende Collage aus Wort und Musik ließ einem das Blut in den Adern gefrieren, ob der Auswirkungen, die der Beruf des Kriegführens auf die Psyche der beiden Protagonisten hat. Insbesondere die Stellungnahmen des aktiven Söldners Penta waren von einer so professionellen Gefühlskälte, daß man den Eindruck bekam, das einzige, das ihm wirklich zu schaffen mache, sei seine prekäre Arbeitssituation. Denn das, was Penta als wirklich belastend empfindet, ist offensichtlich weniger das Töten oder Getötetwerden als vielmehr der Umstand, daß es einem Söldner im Vergleich zum regulären Soldaten nicht anders ergeht als einem Freelancer im Vergleich zum Angestellten: immer nur zeitlich begrenzte Projektarbeit, ohne zu wissen, wie man in einem halben Jahr seinen Lebensunterhalt bestreiten wird. Das Problem kennt man zwar zu Genüge, aber in diesem Kontext bekommt es eine neue und vollkommen absurde Bedeutung.

In der anschließenden Diskussion konnte man derartigen Absurditäten nachspüren. Sie erwies sich als so angenehm auf die Sache konzentriert und frei von jeglichem Selbstdarstellungsdrang der Anwesenden, daß man kaum glauben mochte, im Zeitalter des diskursiven Bullshits in Berlin-Mitte derlei noch erleben zu dürfen. Diese ungemein wohltuende Erfahrung fügte sich ein in den auch ansonsten rundum positiven Gesamteindruck, den die Veranstaltung vermittelte. Man konnte entspannt trinken, rauchen, Salzstangen knabbern, die Augen schließen und in bequemen Sitzgarnituren herumlümmeln, während man gemeinsam der Radiosendung lauschte, die einem bei gedämpften Licht vorgespielt wurde. Es gab keine gestelzten Mode-Monster, keine wichtigtuerischen Theorie-Akrobaten, und auch autistische Hörspiel-Freaks suchte man glücklicherweise vergebens.

Deshalb sei also jedem, der kein Schaumschläger ist, diese mittwöchige Insel entspannter Ernsthaftigkeit im Berliner Meer des aufgeblasenen Schaumschlägertums empfohlen. Im April wird sich radiotesla dem Thema „Sprache/Spielen" widmen. Das Hörspiel am 5. April wendet sich Samuel Beckett zu, das Feature am 12. beschäftigt sich mit der Entwicklung künstlicher Sprachen und der Idee universaler Verständigung. Die Radiokunst am 19. enthält diesmal eine Live-Performance zum Thema, und die Sparte „Grenzen" am 26. befaßt sich mit Computerspielen für Blinde. Es gibt also auch weiterhin viel zu hören. Seien wir deshalb zumindest mittwochs ganz Ohr!

Thomas Hoffmann

* radiotesla, jeweils mittwochs

um 20.30 Uhr bei freiem Eintritt

im Tesla im Podewils'schen Palais,

Klosterstraße 68-70, Mitte

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