Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Prekäre Zeiten

In diesem Jahr soll es erstmals auch in Berlin
eine Mayday-Parade geben

Mailand, Barcelona – und dieses Jahr auch in Berlin. Die Euro-Mayday-Paraden breiten sich aus. Dabei handelt es sich um eine noch recht junge Aktionsform, die ihre Wurzeln in Italien und Spanien hat. „Die Mayday-Paraden sind keine traditionellen Demonstrationen, sondern eine kreative und bunte und doch politische Party auf der Straße", versprechen die Organisatoren in Ankündigungsflyern.

Als theoretischer Hintergrund der Mayday-Paraden dient der Begriff der Prekarisierung aller Lebens- und Arbeitsverhältnisse, wie wir sie aktuell erleben. Der Achtstundentag mit tariflich erkämpften Löhnen und geregelter Urlaubszeit wird in vielen europäischen Ländern zunehmend ersetzt durch Kurzzeitarbeitsverträge, unbezahlte Praktika und Ein-Euro-Jobs. Die Betroffenen sind häufig durch die traditionelle Interessenvertretungspolitik der Gewerkschaften nicht zu erreichen. Das Erkämpfen von gemeinsamen Rechten ist eben nicht einfach, wenn die Fabrik als kollektiver Organisator an Bedeutung verliert.

Mit den Mayday-Paraden soll diesen veränderten politischen Verhältnissen Rechnung getragen werden. Anders als bei den traditionellen Gewerkschafts-Maidemos steht nicht die Forderung nach Arbeitsplätzen, sondern der Kampf um globale soziale Rechte für alle ­ unabhängig von einem Arbeitsplatz ­ im Mittelpunkt. Deshalb nimmt der Kampf von Migranten und Flüchtlingen bei Mayday-Paraden einen zentralen Stellenwert ein.

Im letzten Jahr gab es erstmals auch in Deutschland einen Mayday, und zwar in Hamburg. In Berlin dagegen schien er besonders schwer zu organisieren, weil die Debatten um den 1. Mai in den letzten Jahren um die „Kreuzberger Maifestspiele" am Abend kreisten. Über die Frage, ob es sich dabei um ein Ritual oder um nach wie vor legitimen Widerstand handelt, hat sich ein Teil der Linken bis heute zerstritten. Mit dem Mayday hoffen die Organisatoren, auch die zigtausend Menschen wieder zu erreichen, die in den Hochzeiten der Mai-Demos in Kreuzberg auf der Straße waren.

Zum Mayday gibt es aber auch kritische Fragen. So vermissen manche die politischen Inhalte und warnen vor einem alternativen Karneval der Kulturen. Deshalb haben Interessierte in den nächsten Wochen Gelegenheit, sich über die Hintergründe des Mayday und über die konkreten Planungen in Berlin zu informieren und mit den Organisatoren über das Konzept zu streiten.

Peter Nowak

Veranstaltungen:

* „Mayday - ein neuer Impuls für den 1. Mai?" Roter Abend der Internationalen KommunistInnen, am 5. April, 20 Uhr im Zielona Gora, Grünberger Straße 73, Friedrichshain

* „Prekäre Zeiten!" Trend-Nachtgespräch zur Prekarisierung, am 24. April, 20 Uhr in der BAIZ, Christinenstraße 1, Prenzlauer Berg

Weitere Termine und Informationen unter http://berlin.euromayday.org

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 03 - 2006 © scheinschlag 2006