Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bratwurst und Massenmord

Das Holocaust-Mahnmal wird dem marktwirtschaftlichen Verwertungsprozeß unterzogen

Das zentrale Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist kein authentischer Ort: Hier liegen keine Leichen der in den Konzentrations- und Arbeitslagern ermordeten Menschen. Hier wurden keine Opfer von Diktatur und Verfolgung gehängt, verbrannt, in den Selbstmord getrieben. So betrachtet war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich ein pfiffiger Berliner Geschäftsmann der „Versorgungslücke" annehmen würde, die die B.Ä.R.-Grundstücksgesellschaft nun aufgedeckt hat: Es gibt keine Würstchen am Mahnmal. Auch sonst nichts zu essen. Damit soll bald Schluß sein. Ab Mai diesen Jahres werden auf dem Mahnmalgelände die deutschen Exportschlager Massenmord und Bratwurst gemeinsam angeboten.

Bereits im kurzen Sommer 2005 hatte dieselbe Entwicklungsgesellschaft eine mobile Würstchenbude auf einem ihrer Grundstücke an der Cora-Berliner-Straße aufgestellt. Damals gab es kurzzeitige Hoffnung, die Stadtpolitik würde schnell und souverän auf den „Würstchenstreit" reagieren. Mittes grüne Baustadträtin Dorothee Dubrau hatte die Buden binnen zweier Tage nach stürmischem Protest untersagen lassen, mit Hilfe des „Verunreinigungs"-Paragraphen sollte im direkten Umfeld des Mahnmals jeglicher „Bauchladenhandel" untersagt werden.

Schnell mußte der Bezirk jedoch feststellen, daß eine starke Beschränkung von Gewerbe auf privaten Grundstücken juristisch schwierig ist. Das wiederum rief Mittes Wirtschaftsstadtrat Dirk Lamprecht von der CDU auf den Plan. Es fehlen Arbeitsplätze in Berlin, sogar in Mitte. Schnell gab es eine unheilige Allianz von Lokalpolitik und Entwicklungsgesellschaftern, und eine eilige Häufung von neoliberalen Argumenten führte zu einer Reduktion der prinzipiellen Diskussion auf eine ästhetische: „Die Pavillons müssen aber dem Ort angemessen gestaltet sein", sagte Dubrau plötzlich. „Jede halbe Lösung paßt nicht zum Mahnmal", ließ sich Uwe Neumärker von der Mahnmalstiftung zitieren. Eine Diskussion mit absurden Parallelen zu den Debatten einige Jahre zuvor, wie man den Holocaust in der politischen Mitte Berlins künstlerisch ausformen könne.

Geeinigt hat man sich auf eine stolze 115 Meter lange Ladenzeile mit „qualitätsvoller Nutzung". Einen Namen hat das Kind auch schon: „Pavillon-Ensemble Wilhelmstraße", obwohl die Zeile entlang der Cora-Berliner-Straße stehen wird, auf der anderen Straßenseite des Stelenfeldes. Oben auf den eingeschossigen Flachbauten hinter (na klar) Kolonnaden wird es Terrassen geben, auf denen bei gutem Wetter die Aussicht gemeinsam mit dem kulinarischen Angebot genossen werden kann. Eine Mischung aus deutscher und „mediterraner" Küche sichert Berlins weltläufigen Metropolenanspruch, dazu ein Buch- und ein Souvenirladen von Martin Lindner, der bereits eine Dependance Unter den Linden betreibt. Sortiment dort: Berlin-T-Shirts, Porzellanteller und Berliner Bären. Drei Jahre sollen die Pavillons stehen bleiben, danach will die Gesellschaft zur Steigerung des möglichen Ertrags an ihrer Stelle Wohnhäuser mit einer Ladennutzung im Erdgeschoß errichten.

Berliner Stadtpolitik ist nicht immer leicht zu verstehen. Letztes Jahr wurde den begeistert von Stele zu Stele springenden Besuchern Respektlosigkeit dem „Thema" gegenüber vorgeworfen. Jetzt soll Essen verteilt werden. Ist das als Teil von Franz Beckenbauers „Nationaler Service- und Freundlichkeitskampagne" für die Fußball-WM gedacht? Schon klar: Wer die Welt zu Gast bei Freunden hat, der will auch was zu Essen im Haus haben. Holocaust hin, Holocaust her, und wieder Dorothee Dubrau, diesmal schon 2006: „Das Essen dieser kleinen Würstchen ist in Berlin ein wichtiges Thema." Sie selbst griff beim feierlichen Spatenstich im Januar zur Schaufel.

„Grundsätzlich ist ein solches Angebot positiv zu bewerten. Schließlich kommt es aber auf die Inhalte an", verkündet Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh. Inzwischen ist vereinbart, daß die Stiftung des Mahnmals „Info-Flyer" über die Inhalte des Stelenfeldes in den Restaurants und Cafés auslegen darf. Inhalte?

Vor allem wird klar, daß sich auch das Holocaust-Mahnmal marktwirtschaftlichen Verwertungsprozessen unterwerfen lassen muß. Nicht neu ist, daß die Berliner Politik kein Konzept hat, wie mit diesem privat initiierten Gedenkort umzugehen ist, dessen Stärke bislang seine fast konsumfreie Konzentration auf Symbolik und Inhalt des abstrakten Stelenfeldes war. Schon die inhaltsleere Diskussion um die Stelenspringer des letzten Sommers offenbarte eine beinahe vollständige Interesselosigkeit, ob und wie hier der Opfer gedacht werden könnte. Stattdessen wurde Wachpersonal aufgestellt, dessen Bemühen, die stelenspringenden Besucher einzufangen, zu den größten Berlin-Attraktionen gewachsen ist. Auch die Konzeptlosigkeit der überforderten Mahnmalstiftung um Lea Rosh ist seit dem Bemühen um Authentizität durch fremde Zähne nichts Neues mehr.

Aber Politik und Stiftung geben das Feld der aktiven Gestaltung dieses Stadtraumes auf, und es droht dem Mahnmal eine Banalisierung, als ob es lediglich ein weiteres Stück öffentlicher Kunst in Berlin wäre. Politik war einmal die Organisation des gemeinschaftlichen Interesses ­ heute zieht sie sich zurück auf das Verwalten von Anträgen privater Würstcheninteressen. Der Hinweis, es gäbe gar keine „Versorgungslücke" am Mahnmal, denn Berlin sei besonders in der Innenstadt ziemlich gut versorgt, tauchte in der Diskussion nur kurz am Rande auf. Eine bundespolitische Beteiligung an dieser Debatte fand, im Gegensatz zur Gestaltung des Mahnmals seinerzeit, nicht statt.

Es gab allerdings auch keinen wahrnehmbaren öffentlichen Aufschrei, wie es angesichts der desinteressiert-bürokratischen Ungeheuerlichkeit des Vorhabens eigentlich zu erwarten gewesen wäre. So droht dem Mahnmal eine banale und inhaltsleere Zukunft: mediterrane Küche auf Sitzterrassen mit Verzehrpflicht, behindertengerecht erschlossen „mit Aufzug" und einmaligem Blick auf Eisenmans Stelenfeld, um dessen Gestaltung einmal so erbittert gestritten wurde.

Natürlich bleiben noch mehr Fragen: Wird zur Fußball-WM auch Bier ausgeschenkt? Man wird ja wohl noch auf den Holocaust trinken dürfen, im Gedenken natürlich. Sollte man die Stelen nicht irgendwie farbig anstreichen? Nicht daß der düstere Eindruck des Mahnmals dem einen oder anderen Touristen auf den Magen schlägt. Warum gehen die Deutschen immer so problemfixiert mit ihrer Geschichte um? Wieso gibt es keinen McDonald's in Auschwitz? Künftig werden uns auch diese Fragen von den Gesetzen der Marktwirtschaft beantwortet, wenn es Politik und Gesellschaft an Antworten oder schlicht an Interesse fehlt.

Florian Heilmeyer

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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