Ausgabe 03 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Unruhe stiften und nach Dresden schielen

Der Berliner Wohnungspolitik fehlt die Richtung

Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) konnte sich über einen Mangel an Schlagzeilen wahrlich nicht beklagen, nachdem im Herbst letzten Jahres ihre finanzielle Schieflage bekannt geworden war: Dem landeseigenen Unternehmen drohte aufgrund mangelnder Liquidität die Insolvenz, denn die Einnahmen deckten die Ausgaben nicht. Der nächste große Paukenschlag kam im Februar, als bekannt wurde, daß die WBM zwecks Sanierung bis zu 15700 Wohnungen, also mehr als die Hälfte ihres verfügbaren Bestandes, verkaufen wolle – und das bis Jahresende. Die zuständigen SPD-Senatoren – Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer und Finanzsenator Sarrazin – unterstützten das Sanierungskonzept, die Linkspartei.PDS lehnte es ab, auch in der SPD-Fraktion rumorte es. Schließlich setzte sich die Linkspartei.PDS offenbar durch: Am 7. März ruderte der Senat zurück und beschloß (gegen Sarrazins Votum), daß zunächst nur 3000 Wohnungen verkauft werden sollten, knapp die Hälfte davon sollten der ebenfalls landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge angeboten werden. Zudem sollte bis Ende des Jahres ein Gesamtkonzept für die sechs kommunalen Wohnungsgesellschaften erarbeitet werden.

Seitdem jagen sich nahezu täglich neue Meldungen, deren Abfolge geradezu grotesk wirkt. 9. März: Laut WBM drohe aufgrund der „Vollbremsung des Senats" bereits in drei Wochen die Insolvenz, weil ein neues Konzept erarbeitet werden müsse und die Banken Druck machten. 10. März: Die WBM fordert, der Senat solle seinen Beschluß ändern. 13. März: Der Finanzsenator lehnt eine Landesbürgschaft als Rettungsmöglichkeit ab. 14. März: Der Finanzsenator sucht nun doch nach einer „beihilferechtskonformen" Lösung. 16. März: Womöglich muß die WBM nun doch wieder mehr Wohnungen privatisieren. 22. März: Die vorläufige Beschränkung auf 3000 Wohnungen gelte nur für dieses Jahr. Ansonsten, so der Senatssprecher, unterstütze der Senat das ursprüngliche Sanierungskonzept der Wohnungsbaugesellschaft.

Hinter den Meldungen verbirgt sich ein politisches Tauziehen: Monatelang hatte die WBM das Sanierungskonzept erarbeitet, und die Senatsfinanzverwaltung hatte jeden Schritt abgesegnet. Daß Sarrazin Privatisierungen befürwortet, ist bekannt, und daß die von ihm bestellten WBM-Geschäftsführer kein grundlegend anderes Konzept verfolgten, daher nicht verwunderlich. Der Linkspartei.PDS, die ohnehin ungehalten darüber war, daß die SPD sie beim Thema Wohnungswirtschaft außen vor und wenig Transparenz walten ließ, ging das, wie auch Teilen der SPD, zu weit: Die öffentliche Unruhe führte schließlich zum Rückzieher. Der wiederum brachte die WBM unter Druck, da für die kreditgebenden Banken ­ vor allem für die wiederum landeseigenen Berliner Bank und Landesbank Berlin ­ damit eine wesentliche Grundlage des Sanierungskonzepts weggebrochen war.

Damit ist die WBM in eine klassische politische Pattsituation geschlittert: Die Linkspartei.PDS weiß, daß der Verkauf von 3000 Wohnungen allein keine Lösung ist. Sie wollte vor allem Zeit gewinnen für ein Alternativkonzept zur Unternehmenssanierung ­ kann allerdings der WBM keinen Auftrag dazu erteilen. Sarrazin könnte es, will aber offensichtlich nicht. Stattdessen verfolgt er mit großem Interesse das Dresdner Modell ­ die Stadt hat jüngst ihren gesamten kommunalen Bestand von 48000 Wohnungen für 1,7 Milliarden Euro an den amerikanischen Finanzinvestor Fortress verkauft, um mit dem Erlös auf einen Schlag sämtliche Schulden zu tilgen. Allerdings gibt sie damit auch auf einen Schlag ihren Einfluß auf Wohnungspolitik und Stadtumbau aus der Hand.

Doch ob die Dresdner Rechnung aufgeht, bezweifeln Fachleute, die den ostdeutschen Wohnungsmarkt kennen. So warnte etwa der Chef der sächsischen Aufbaubank dringend vor dem Deal, auch der Sächsische Landesverband der Grundeigentümer protestierte. Amerikanische Investmentgesellschaften wie Fortress, so der Ausgangspunkt der Überlegungen, sind mit der Spezifik des Wohnungsmarkts im schrumpfenden Osten nicht vertraut und halten den Bestand im europäischen Vergleich für unterbewertet ­ also ein Schnäppchen. Ihr Job ist es, das Geld der Anleger ständig in Bewegung zu halten. Fortress erwartet, daß die sächsische Wohnungsbaugesellschaft WOBA jährlich 20 Prozent Rendite abwirft, in fünf Jahren müßte also das investierte Geld wieder erwirtschaftet sein. Da der Osten kein Wachstums- und auch kein Kaufmarkt ist, wird das über Einzelprivatisierungen kaum zu realisieren sein. Fortress will nach eigener Aussage die Rendite vor allem durch mehr Vermietung erhöhen ­ die WOBA hat einen Leerstand von immerhin 18 Prozent. Um den nicht noch zu erhöhen, kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, die Bestandsmieter ­ etwa durch opulente Mietsteigerungen ­ zu vergraulen, andererseits ist ein massenhafter Zuzug von Bewohnern für ca. 9000 leerstehende Wohnungen höchst unwahrscheinlich. Zu rechnen wäre also eher mit einem Preiskrieg auf Kosten von Genossenschaften und anderer Eigentümer am Markt. Da sich die erwartete Rendite dennoch nicht erzielen lassen wird, so das Szenario, könnten die Wohnungen nach einigen Jahren wieder auf dem Markt landen. Fortress käme nicht ohne Verluste heraus ­ das Risiko der Anleger. Die Stadt jedoch müßte dann handeln und notfalls wieder erwerben: Immerhin leben ca. 100000 Mieter, ein Fünftel der Dresdner, im WOBA-Bestand.

In Berlin ist man bislang davon ausgegangen, einen Mindestbestand von ca. 270000 kommunalen Wohnungen zu benötigen. Der Finanzsenator stellt nun ­ mit Verweis unter anderem auf Dresden ­ in Frage, ob Städte überhaupt kommunalen Besitz brauchen. Sein Interesse an einem Gesamtkonzept für die Berliner Unternehmen dürfte daher eher gering sein. Das politische Tauziehen geht also weiter, Konzepte sind nicht in Sicht.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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