Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Lachen? Weinen? Zuschlagen?

„Antitabakismus" in Spanien

Rücksichtsvolle Kollegen, ein hygienischer Arbeitsplatz, Gaststätten mit guter Luft, saubere, stille Nächte – gewisse EU-Normen des manierlichen Zusammenlebens waren in Spanien bislang nicht selbstverständlich. Hier war es nicht nachts, sondern mittags still, und nicht die Bar, sondern nur das Zuhause hatte nach Blümchen zu duften. Gesundheit war keine Folge von Um-, Vor- oder Rücksicht, sondern von Mamas gutem Essen, und den Qualen des Arbeitsplatzes begegnete man mit Geduld oder Kündigung, aber nicht, indem man die Kollegen mit Vorschriften nervte. War das im finsteren Mittelalter, oder war es grad gestern?

Spätestens mit dem „Antitabakismus"-Gesetz ist es jedenfalls damit vorbei. Am 1. Januar 2006 akzeptierten Millionen Spanier Sauberkeit und Selbstbeherrschung als jedermanns Pflicht und drückten, pünktlich um 0 Uhr, ihre Zigarette aus. Im Freien, zu Hause und ­ zumindest für eine Übergangsfrist ­ in bestimmten Gaststätten darf man zwar noch rauchen. Aber in Spanien, wo bis vor ein paar Monaten in Amtsstuben und Geschäften gequarzt wurde ­ vor wenigen Jahren gar noch in Bussen, Hörsälen und Krankenhausfluren ­, wo in den Kneipen die Kippen in Haufen auf dem Boden lagen und im Restaurant nach jedem Gang die Schachtel herumgereicht wurde, in Spanien wirkt das neue Gesetz nicht nur pingelig, sondern geradezu bizarr.

Zunächst einmal sorgt es für Verwirrung. Im Büro zum Beispiel weiß niemand so recht, wo man rauchen soll ­ geht man unter den prüfenden Blicken des Chefs vor die Tür oder versteckt man sich in der Garage wie auf einem Schulklo? Wie hoch sind die Strafen, wenn man das Verbot ignoriert, und gibt es überhaupt Kontrollen? Die Gewerkschaft warnt, daß Rauchen zu einem häufigen Kündigungsvorwand geworden ist. Was ist in diesem Zusammenhang von den Überwachungskameras am Eingang zu halten? Ist es ein Witz, wenn ein Kollege droht, Raucher bei der Polizei zu denunzieren? Oder ein anderer die Arbeitszeit vorrechnet, die man jährlich mit Raucherpausen „verliert"? Und wenn einer mich, der ich draußen rauche, beim Hereinkommen auf meinen Rauchgeruch anspricht, was soll ich dann tun? Lachen? Weinen? Zuschlagen?

Die Zigarette ist ein Symbol des Drecks, der Maßlosigkeit und der Unvernunft. Wer derlei im Büroalltag für unangemessen hält, kann sich immerhin auf den Gemeinsinn berufen. So geht es denn auch dem Antitabakismus-Gesetz vorgeblich ums „Rauchen am Arbeitsplatz". Und es stimmt ja, am Arbeitsplatz braucht man manchmal staatlichen Schutz. Und ja, ein Büro ist keine Hafenkaschemme und muß auch nicht so riechen, die Arbeiter können nicht weg und müssen sich irgendwie einigen. Und um der perfiden Argumentation bis an den Schluß zu folgen: Ja, auch eine Hafenkaschemme ist ein Arbeitsplatz. Daß hier die Raucher auf beiden Seiten des Tresens die satte Mehrheit bilden, daß ein Kellner, der keinen Rauch veträgt, sich so lächerlich macht wie ein Matrose mit Seekrankheit ­ das spielt schon keine Rolle mehr, gerade das soll sich jetzt ja ändern. Das Meer können sie nicht glätten, aber das Nachtleben schon.

Echtes Nachtleben hat verraucht, ja sogar möglichst verrucht zu sein, sonst kann man auch in die Milchbar vorm Multiplex gehen. Es ist eine Ruhestörung, eine Einladung zur Drogen- und Spielsucht, zur Gewalt, zum leichten, gar käuflichen, womöglich ungeschützten Sex und allerlei anderen schmutzigen Sachen, die man oft kaum verbieten kann ­ teils, weil sie den Staat nichts angehen, teils, weil sie schon verboten sind; und dennoch verbietet man weiter. Schon vor Jahren wurde in Spanien der Alkoholkonsum auf der Straße illegalisiert und in den Innenstädten eine Sperrstunde verhängt, die seitdem schrittweise verschärft wird. Die Straßenprostitution wird inzwischen schwer bestraft, in Barcelona sogar das Urinieren und Betteln im öffentlichen Raum. Halbjährlich kündigt irgendeine Regierungsebene weitere Disziplinierungsmaßnahmen an.

Nun haben sie die Lufthoheit errungen. Da erhellt sich die Finsternis, und die Luft wird rein! Da atmet der Kellner tief durch und auch der Gast, der sich mit einem ganz anderen Gefühl der Gaststätte nähert. Er wirft einen bangen Blick auf die Türsteher, die über die Nachtruhe der Nachbarn und den reinlichen Gesamteindruck wachen und bei der Gelegenheit gleich mal die Gesichter prüfen. Im Windfang liest der Gast noch einmal alle Verbotsschilder durch, um sich zu vergewissern, daß dies kein reines Nichtraucheretablissement ist; im Saal selbst sucht er dann nach dem Zigarettenzeichen an der Wand und den Aschenbechern auf dem Tisch, erreicht glücklich den korrekt ausgewiesenen, aber völlig überfüllten Raucherbereich; erst dann zündet er sich eine an. Der Kellner ist gerade am Telefon: „Sie möchten reservieren? Ja, ich notiere: zwei Raucher, Trinker und Fleischesser, drei Nichtraucher, Trinker und Vegetarier, ein Raucher, aber ohne Alkohol und Fleisch, ich verstehe, vier Nichtraucher, die trinken, aber kein Fleisch essen, ja, ja ... acht Tische also." Der Gast und der Kellner blicken sich an. Schade, denken sie, daß man keinen Rauch durchs Telefon blasen kann.

Johannes Touché

Foto: Knut Hildebrandt

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