Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Nicht drüber reden!

Mit-dem-Rauchen-Aufhörer belästigen ihre Mitmenschen

Es gibt Raucher, Nichtraucher, die seltene Spezies der Gelegenheitsraucher und die Mit-dem-Rauchen-Aufhörer. Mit der letzten Kategorie sind keineswegs diejenigen gemeint, die gestern noch Raucher und heute bereits Nichtraucher sind, sondern Raucher, die bereits seit vielen Jahren, mitunter Jahrzehnten gerade im Begriff sind, mit dem Rauchen aufzuhören. Für leidenschaftliche Raucher überaus unangenehme Zeitgenossen: Gegenüber militanten Nichtrauchern muß man nur zu Beginn jeder Begegnung kurz zugeben, daß Rauchen tatsächlich unangenehm ist und wechselt dann das Thema – oder die Gesellschaft. Die Daueraufhörer dagegen lassen sich ähnlich schwierig abwimmeln wie die Zeugen Jehovas: Wie im Kommunikationstraining erlernt, beginnen sie jedes Gespräch über das zu überwindende Laster mit dem Hinweis, man teile doch dieselben Probleme, um dann den Graben zu ziehen zwischen denjenigen, die immerhin erkannt haben, daß man für ein selbstbestimmtes Leben endlich die Sucht überwinden müsse, und denjenigen, die – ganz Sklaven ihrer Sucht – „noch nicht soweit sind". Daß diese Aufhörer Dutzende solcher Bekehrungsversuche mit der Zigarette in der Hand beginnen, ist für sie kein Widerspruch. Im Gegenteil: Je mehr sie über den Entzug faseln, desto näher wähnen sie sich ihm.

Die Schubladen, in die gepackt zu werden die professionellen Aufhörer sich redlich verdient haben, sind so zahlreich wie die Zigarettenmarken. So gibt es erstens Aufhörer, die davon träumen, ein neues Leben zu beginnen. Sie kündigen nicht nur an, ab morgen das Rauchen aufzugeben, sondern außerdem früh aufzustehen, zu joggen, weniger zu saufen und keine toten Tiere mehr zu vertilgen. Dann gibt es solche, die im Laufe der Jahre zu medizinischen Experten geworden sind. Sie vermögen nicht nur sämtliche Nebenwirkungen des Tabakkonsums samt Statistiken aus dem Stegreif aufzuzählen, sondern kennen auch alle Mittelchen aus der Apotheke, die den unvermeidlichen Schmacht lindern helfen.

Und dann gibt es diejenigen, die tatsächlich diese Ratgeber-Bestseller wie Endlich Nichtraucher! lesen. Und da kaum ein Buchautor es schafft, 150 Seiten nur mit Tips zum Nikotinentzug zu füllen, neigen deren Leser dazu, mit der Überwindung der Sucht auch gleich die eigene Mitte, ein neues Körpergefühl, einen ganzheitlicheren Bezug zur Umwelt oder ähnlichen Mist zu suchen. Weiterhin gibt es die, die zwar ständig qualmen, aber ernsthaft denken, das gelte nicht, weil sie sich entweder Mentholzigaretten zu Gemüte führen, immer nur einzelne Züge bei Freunden erbetteln, durch Strohhalme inhalieren oder auch einfach den ganzen Tag über kiffen und entsprechend fett in der Ecke hängen.

Es gibt auch welche, die großspurig ihr Vorhaben ankündigen und alle rauchenden Freunde um Rücksicht, sprich um Verzicht bitten, um den Aufhörer nicht zum Rückfall zu verführen. Oftmals sitzt man dann mit dem Probanden in der Kneipe, versagt sich für etwa eine halbe Stunde mehr oder weniger qualvoll den eigenen Genuß, nur um dann zuzusehen, wie der Aufhörer sich entschuldigend eine Zigarette anzündet, um dann den Rest des Abends über seine eigene Willensschwäche zu lamentieren.

Die Krönung aber sind diejenigen Aufhörer, die jedem Raucher, der ihre Kreise kreuzt, eine Zigarette abluchsen, während sie selbst natürlich keine dabei haben, weil sie ja schließlich aufhören. Bei diesen Schnorrern leidet man als Raucher doppelt: Zum einen muß man stillschweigend dulden, daß der andere die eigenen Kippen kettenrauchend vernichtet, zum anderen muß man sich auch noch Schuldgefühle einreden lassen, weil man als rücksichtsloser Mensch den anderen mal wieder vom Pfad der Tugend abgebracht hat. Dabei ist tugendhaftes Leben so ziemlich das langweiligste, was man sich vorstellen kann.

Katrin Scharnweber / Dirk Rudolph

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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