Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Being bold! Being poor?

Progressive Musik und regressive Kulturförderung

„Der Club Transmediale ist die aufregendste musikalische Reihe der Stadt: so vielseitig und zugleich so konzeptuell klar durchgeformt, so mutig in der Auswahl der Künstler und zugleich so klug massenbegeisternd wie gegenwärtig kein anderes Festival in Berlin." Derartige Stürme der Begeisterung brausten vor rund einem Jahr im Feuilleton der Berliner Zeitung auf, als es um den Club Transmediale 2005 ging. Und es wäre sicherlich nicht falsch, würde man die Großwetterlage dieses Jahr ähnlich enthusiastisch darstellen. Auch der Club Transmediale 2006, der unter dem Motto „Being Bold!" stand, bescherte ein weiteres Hoch aus abenteuerlicher Musik und visueller Kunst, das dem Berliner Publikum unter anderem ermöglichte, sich im fröhlichen Elektro-Pop von Jean-Jacques Perrey zu sonnen.

Verursacht der Club Transmediale berechtigterweise Begeisterungsstürme im Berliner Wasserglas, so müssen auf der Wetterkarte ganz ähnliche Eintragungen vorgenommen werden, wenn man in etwas nördlichere Gefilde blickt: Das Garage-Festival, das die letzten zehn Jahre in Stralsund stattfand, zeugte von ebenso großer musikalischer Abenteuerlust und war, gemessen an seinem Stand-ort, noch bemerkenswerter als der Club Transmediale. Denn obgleich der Club mit seinem international beachteten Programm aus dem Berliner Einerlei weit herausragt, machte die Garage elaborierte Musikalität und kommunikatives Miteinander an einem Ort möglich, an dem es ansonsten nicht einmal ein auch nur halbwegs erträgliches Einerlei gibt.

Wer nun jedoch vermutet, daß derartige Projekte progressiver Kulturarbeit nicht nur im Feuilleton stürmische Begeisterung verursachen, sondern auch in den Amtsstuben von Stadt, Land und Bund, wird sich recht schnell getäuscht sehen. Zwar erhielten der Club Transmediale und das Garage-Festival in den vergangenen Jahren durchaus finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Kassen. So wurde der Club etwa vom Hauptstadtkulturfonds gefördert, und die Garage profitierte von der Kulturförderung des Landes Mecklenburg-Vorpommern und von der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes. Aber betrachtet man die Art und das Verfahren der Förderung, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die finanziellen Mittel eher mit dem Gestus der Barmherzigkeit verteilt werden.

Das allenfalls rudimentäre Verständnis für die Inhalte der Projekte auf Seiten der Fördergremien wird zudem überlagert von formalen Verwaltungsvorschriften, opaken Kriterien der Vergabe und klandestinen Kontakten, die einzelne Personen aus den Jurys zu einzelnen Personen aus dem Kulturbetrieb unterhalten. Obgleich auch in der Kulturförderung ­ wie überall ­ nicht gerade der Rubel rollt, besteht das Problem also nicht nur in der immer stärker werdenden quantitativen Begrenzung der finanziellen Mittel. Auch die Qualität der Unterstützung gibt soviel Anlaß zur Sorge, daß man sich fragen kann, ob sie den Namen „Förderung" eigentlich noch im vollen Sinne verdient.

Erkundigt man sich bei den Organisatoren besagter Festivals, so ist man zuallererst mit dem Bekenntnis konfrontiert, daß es ihnen nicht darum ginge, über den finanziellen Umfang der Unterstützung „herumzujammern", obwohl keiner der Organisatoren von dem Geld leben kann, das er für die langwierigen Vorbereitungen der Festivals erhält. Der Umstand, daß Selbstausbeutung zum Geschäft gehört, sobald man etwas macht, das einem selbst wichtig ist, wird notgedrungen akzeptiert. Art und Procedere der Förderung treiben indes zum Teil so eigentümliche Blüten, daß sie schwer zu akzeptieren sind.

So berichtet etwa Carsten Stabenow vom Garage-Festival, daß es durchaus vorkommen kann, daß man zwei Jahre lang auf die Bearbeitung der Abrechnung warten muß, während man sehen muß, wie man ohne das fehlende Geld zurechtkommt. Auch wurde ihm vorgeschlagen, das Budget für ein Jahr doch über zwei Jahre zu strecken. Und das Argument, mit dem ihm diese gewagte Finanzierungsidee schmackhaft gemacht werden sollte, war, daß es doch auch für das Festival einen Zuwachs an Renommée bedeute, als ein zwei Jahre lang gefördertes Projekt zu gelten. Allerdings war das einjährige Budget schon so knapp kalkuliert, daß die Verteilung der Summe auf zwei Jahre schlicht das Aus für die Garage bedeutet hätte.

Daß das Aus für das Festival nun auch so gekommen ist, lag indes weniger an der mangelnden finanziellen Förderung durch den Bund, sondern am Unwillen der Stadt, die das Festival bisher ohnehin eher duldete. In Stralsund will man jetzt das Areal, auf dem das Festival alljährlich stattfand, zu einer schick restaurierten Speicherstadt für eine erheblich besser betuchte Klientel umbauen. Das Garage-Festival paßte da wohl schlicht nicht mehr ins Bild. Die einzige Chance, so vermutet Stabenow, wäre vielleicht der Versuch einer Institutionalisierung gewesen, etwa im Sinne des Tacheles-Modells. Aber eben dies sei nie beabsichtigt gewesen, weil es bei der Garage nicht darum gegangen sei, eine dauerhafte Institution zu werden, sondern darum, Freiräume zu besetzen.

Überhaupt scheint es mit den derzeitigen Instrumentarien der Kulturförderung nur zwei grundlegende Möglichkeiten der Finanzierung zu geben. Entweder man verbleibt auf der Ebene der Projektarbeit und damit permanent im Prekären oder man strebt die Institutionalisierung im klassischen Sinne an. Aber abgesehen davon, daß diese beiden Möglichkeiten kaum dazu geeignet sind, die vielfältigen Ausprägungen kultureller Arbeit zu erfassen, besteht faktisch nicht einmal diese Alternative. Denn gegenwärtig ist es, wie Jan Rohlf und Oliver Baurhenn vom Club Transmediale zu berichten wissen, zumindest in Berlin nahezu unmöglich, eine längerfristige Regelförderung zu erhalten.

Was bleibt, ist der jährliche Neuantrag, dessen Genehmigung sich auch so lange hinziehen kann, daß die Vorbereitungsphase des Festivals schon in vollem Gange ist, obwohl man noch gar nicht weiß, ob das Ganze überhaupt finanziert werden kann. Hinzu kommen die eigentümlichen Regelungen der Projektförderung, die wenig auf Inhalt und bisherigen Erfolg der Projekte achten, sondern in ihrer Formalität eher der Abschreckung zu dienen scheinen. So blieb es lange Zeit fraglich, ob der Club Transmediale, der unter den Festivals progressiver Musik längst eine weltweit anerkannte Größe ist, auch dieses Jahr eine Förderung erhalten würde. Die Begründung war rein formaler Art und bestand darin, daß Projekte in der Regel nur dreimal hintereinander gefördert werden, der Club jedoch schon in den letzten drei Jahren eine Förderung erhalten hatte. Daher mußten die Organisatoren diesmal ganz besondere Anstrengungen unternehmen, um die bestehenden Barrieren zu überwinden. Und diese waren zunächst so massiv, daß man sich zwischenzeitlich fragte, wie der Club Transmediale aus Sicht der Jury überhaupt jemals als förderungswürdig hatte gelten können.

Angesichts derartiger Hindernisse betonen die Organisatoren der Festivals, daß sie alles andere als beratungsresistent sind. Ganz im Gegenteil: Sie würden sich eine transparentere, intensivere und vor allem stärker inhaltlich ausgerichtete Zusammenarbeit mit den Fördergremien wünschen, deren Mitglieder sich eher als Kuratoren, denn als Verwaltungsangestellte verstehen sollten. Vor allem aber müsse man damit aufhören, Projekte zunächst maximal drei Jahre lang zu fördern, um dann nach drei Jahren das Erreichte ohne Rücksicht auf Verluste über Bord zu kippen. Geboten sei jetzt vielmehr die Entwicklung eines geeigneten Förderinstrumentariums, das Projekte nicht im ewig Prekären beläßt, sondern bestimmte Kontinuitäten der kulturellen Arbeit gewährleistet, ohne dabei Kulturförderung als bloße Anschubfinanzierung zur dauerhaften Institutionalisierung zu begreifen. Hoffen wir, daß dieser konstruktive Appell nicht ungehört bleibt.

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 02 - 2006 © scheinschlag 2006