Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Fehler im System

Nun auch wissenschaftlich erwiesen: Die Hartz-Reformen sind gescheitert

Anfang des Monats trat die Bundesregierung mit den Ergebnissen einer recht aufwendigen Studie zu den Folgen der ersten drei „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" (Hartz I bis III) an die Öffentlichkeit. Über 100 Wissenschaftler aus 18 Forschungsinstituten legten, noch von der rot-grünen Regierung beauftragt, in ihrem 2500seitigen Zwischenbericht im wesentlichen dar, daß die Hartz-Gesetze ihr erklärtes Ziel, die Arbeitslosigkeit abzubauen, verfehlt haben und teilweise sogar das Gegenteil bewirken.

Besonders weit klaffen Anspruch und Wirklichkeit bei den Anfang 2003 eingeführten „Personal-Service-Agenturen" (PSA) auseinander. Die Zeitarbeitsfirmen waren einst das Herzstück der Arbeitsmarktreformen und sollten bereits im ersten Jahr 50000 Arbeitslosen zu einer festen Anstellung verhelfen. Aber selbst zu ihren besten Zeiten beschäftigten die PSAs nur 33000 Menschen. Um sich in der Konkurrenz gegen die schon vorher bestehenden Sklavenhändler durchzusetzen, unterboten einige von ihnen die Löhne. Viele konnten sich aber trotz Dumpings nicht am Markt halten und gingen Pleite, wie der größte Vertragspartner der Agentur für Arbeit, Maatwerk. Heute ackern nur noch etwa 10000 Menschen im Auftrag der PSAs. Und selbst für die wurde das Ziel, sie bald wieder auf den freien Markt zu entlassen, nicht erreicht: „Wirkungsanalysen ergaben, daß Arbeitslose, die in den Jahren 2003 und 2004 eine PSA-Beschäftigung aufgenommen haben, aufgrund dieser Tätigkeit später als vergleichbare andere Arbeitslose ihre Arbeitslosigkeit beendeten."

Ganz anders verhält es sich mit den zur selben Zeit eingeführten „Ich-AGs". Seit Januar 2003 förderten die Arbeitsagenturen über 360000 solcher Existenzgründer. Erschrocken von diesem Erfolg erhöhte die Bundesagentur sogleich die Hürden für diese Förderung und schloß außerdem die Bezieher von Arbeitslosengeld II ­ und damit die meisten ­ ganz aus. Ob allerdings, wie von der Großen Koalition bisher favorisiert, die Ich-AGs im Sommer völlig abgeschafft werden, ist angesichts des in der Studie bescheinigten Erfolgs zur Zeit noch offen. Die Forscher behaupten nämlich, die Ich-AGs gehörten „zu den wirksamsten Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik", obwohl bereits fast 130000 Gründer inzwischen wieder aufgegeben haben.

Ähnlich häufig in Anspruch genommen werden die „Mini-Jobs". Die Anzahl der „geringfügig Beschäftigten" stieg innerhalb eines Jahres um 600000 auf insgesamt 6,7 Millionen. Dummerweise waren nur acht Prozent der befragten Mini-Jobber vorher arbeitslos. Die Mini-Jobs ersetzen offenbar im großen Stil reguläre Stellen. 500000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wurden im gleichen Zeitraum abgebaut. Laut Sabine Klinger vom zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betrifft die Umwandlung von sozialversicherungspflichtigen Stellen in Mini-Jobs insbesondere Branchen wie den Einzelhandel und die Gastronomie, in denen es schon immer viele Teilzeitbeschäftigte gab.

Die Ein-Euro-Jobs kamen in den Untersuchungen noch nicht vor, weil es sie erst seit einem Jahr gibt. Im IAB geht man aber schon jetzt davon aus, daß sie den Anreiz für Arbeitslose, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt nach einer Anstellung umzusehen, senken, weil es sich finanziell für sie nicht unbedingt lohnt, und daß die Ein-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen, weil sie für die Beschäftigungsträger besonders reizvoll sind. Sie müssen nicht nur keinen Lohn bezahlen, sie erhalten überdies sogar noch eine monatliche Pauschale von der Arbeitsagentur.

Daß Hartz I bis III offenbar ein Schuß in den Ofen war, bedeutet aber noch lange nicht, daß sie zurückgenommen werden. Seitens der Bundesregierung denkt man bestenfalls über „Nachbesserungen" nach. Und daß die für die Betroffenen wirklich Verbesserungen bringen werden, ist ohnehin mehr als fraglich. Die CDU favorisiert derzeit die Ausweitung des Kombilohns, die staatliche Bezuschussung schlecht bezahlter Jobs also, die bereits als „Mainzer Modell" existiert. Das Mainzer Modell ist aber ebenfalls alles andere als ein Erfolgsmodell, weil laut der Studie Drei Jahre Mainzer Modell ­ Eine Zwischenbilanz, die im August 2003 erschienen ist, „gering bezahlte Stellen tatsächlich nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen, was in der Konzeption überhaupt nicht als Problem thematisiert worden war".

Dieses beharrliche Ignorieren der schlichten Tatsache, daß die Arbeitsplätze, die die Millionen von Arbeitslosen zu suchen animiert werden sollen, einfach nicht existieren, ist es wohl auch, die die politische Klasse seit Jahren so erbärmlich und unglaubwürdig aussehen läßt. Eine Verabschiedung vom Ziel der Vollbeschäftigung und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, seit Jahren immer wieder und immer öfter von unterschiedlichster Seite ins Gespräch gebracht, scheint aber trotzdem heute ferner denn je und ist ohne eine durchsetzungsfähige Massenbewegung wohl undenkbar. Wenn es diese allerdings gäbe, bräuchte man sich nicht mit derlei Kleinkram zu bescheiden, sondern könnte sich wieder dem Nachdenken über Alternativen zum Kapitalismus überhaupt widmen. Denn der Fehler liegt schließlich im System, oder, wie es der Zonenausschuß der CDU der britischen Zone im Ahlener Programm vom Februar 1947 ausdrückte: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Interessen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden."

Søren Jansen

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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