Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Monopol auf Gift

Dem Dönermann entkommt man nicht ­ Selbstausbeutung

als Geschäftsgrundlage

Eine große kulturhistorische Einrichtung ist das türkische Imbißmonopol in Ostberlins Innenstadtbezirken. Nur da, wo türkische Imbisse gastronomischen Wildwuchs befrieden, wird die Bevölkerungsmajorität aus Schwabenfrankenemserbergland mit originären Hauptstadt-der-DDR-Intimitäten grundversorgt: Hamwanich und flächendeckend dieselbe Scheiße. Einzigartig neu aber ist das Gütesiegel garantiert ungenießbar, nach allen Paragraphen der Totalitarismus-Doktrin.

Da, wo der gemeine Ostler aus dem S-Bahn-Ring gedrängt wurde, in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain, siecht die Nachtgastronomie und schläft den süßen Schlaf der Eigentumswohnungsbesitzer. Nach 24 Uhr ißt und trinkt man nicht als Erziehungsberechtigter über 40. Erinnern Sie sich der großen Zeit, als man am Helmholtzplatz und der Simon-Dach-Straße gegen 4 Uhr würfeln konnte, wo der Absacker gekippt ward? Eben. Spätestens ab 3 ist alles dicht. Dafür übernahmen zwischen Eberswalder und Warschauer Straße entlang des M10-Schizo-Shuttles 23 türkische Imbisse und nochmal so viele Spätverkaufstellen die Ausgabe von Handbieren und Dönern.

Jeder aufrechte Nachtmensch bekommt irgendwann Hunger vom Arbeiten oder Saufen. Früher aß man im „Anker" ein Steak oder wartete bis 5 und suchte eine Frühstücksstube („Böhm"!) auf. Hinterhältigstes Ergebnis des Subventionsprogramms für Hauseigentümer, Stadtumbau Ost, ist der erbarmungslose Zwang zum hungrigen Besuch einer Dönerbude. Im schlimmen Dunst dämpfen Döner, Börek, Falafel und türkische Pizza olfaktorische Kotzbeschleuniger. Salatbeilagen kommen en gros aus angelieferten Plasteeimern. Sie werden nie schlecht, laufen nicht an, jeder Eigengeschmack wurde Tomate, Gurke und den Kohlsorten entfernt. Zusatzstoffe sind grundsätzlich nicht deklariert. Plastikbällchen irgendeiner Fabrik heißen Falafel. Aus Pappe sind die Backfabrikationen, die Dönerbrot heißen. Im goldenen Kreuzberg, wo sowieso alles besser ist, bekommt man das alles frisch, inklusive Köfte, Lammspießen aller Art und Tee. Wie delikat war einst ein Döner, frisches Lammfleisch geschichtet und sorgsam gegrillt, mit handgeschnittenem Salat gereicht. Wie gastfreundlich war einst der Nachtimbißverkäufer, er reichte Tee umsonst und hatte ein großes Herz für Extrazubereitungen.

Ein Monopol hat keine Kultur. Unabhängige Einzelhändler können Preise und Angebot variieren. Dem türkischen Imbißbesitzer bleibt nur das flächendeckende Verdrängen jeder Konkurrenz. Preise differieren nur mit der Nähe des Standortes zu gut laufenden Nachtklubs.

Jeder, der schon einmal einen Eckladen anmieten wollte, weiß, daß das Geschäft gelaufen ist, sobald der Imbißtrust Interesse anmeldet. Niemand zahlt höhere Kautionen, Vorabmiete und Bakschisch an die Hausverwaltung.

Der sozialdemokratische Fünfjahresplan zur Konsolidierung der Vaterlandskultur, Agenda 2010, mit der großartigen Hartz IV-Almosenverordnung hat drei Ergebnisse: Erstens bleiben die Banken nicht auf ihren Immobilienkrediten sitzen, zweitens darf Oskar Lafontaine jetzt jede Woche im Bundestag sagen: „Autos kaufen keine Autos" (Sie kaufen nämlich Drei-Wetter-Taft), und die türkische Diaspora ist auf alle Zeit dazu verdammt, ihr ökonomisches Auskommen im geschlossenen Wirtschaftskreislauf Döner zu suchen. Die Hartz IV-Alimentierten können nichts anderes bezahlen.

Das große Ekeln hat eine bedeutende Industrie zur Grundlage. Alle Dönerläden Deutschlands erwirtschaften ca. das Dreifache des Umsatzes von McDonald's Deutschland. Ungefähr 45 Herstellerbetriebe beliefern mehr als 3000 Händler in Berlin und Brandenburg und setzen täglich etwa 60 Tonnen Döner um. Das entspricht täglichen 360000 Portionen Döner. Fabriziert wird im Anschluß an die industrielle Massentierhaltung. Im November 2005 waren acht von zehn untersuchten Döner-Spießen eines Hagener Großbetriebs zur Döner-Herstellung für den menschlichen Verzehr nicht geeignet; beliefert wurde, unter anderem, Berlin. Kontrolleure des NRW-Verbraucherschutzministeriums konnten immerhin kein „Fremdwasser" in den Lieferungen feststellen. Die Proben wurden als „säuerlich und faulig" und „genußuntauglich" eingestuft. Daß der cholesterinarme „Chickendöner" meist aus Putenfleisch besteht, wurde nebenbei publik. Auch die Firma Berlin Döner offeriert ihren „Yaprak Döner (der Exclusive)" wahlweise aus „Kalbs-, Rind- oder Lammfleisch" und bildet im Verkaufsprospekt ein Produkt mit 50 Prozent Putenfleisch ab. Selbst die FAZ bezeichnet Putenfleisch mittlerweile als Sondermüll.

Im Dezember 2005 bestätigte das Hessische Landeslabor den Fund genveränderten Sojas in Dönern. Der Alleinhandel aber reproduziert sich selbst. Nie sieht man in Ostberlin einen türkischen Imbißlokalbesitzer in seinem Laden essen. Sie fahren alle nach Kreuzberg. Nie sieht man einen türkischen Imbiß pleite gehen. Was jedem Frisör und Ich-AG Hot-Dog-Austeiler passiert: Scheißware – schlechter Umsatz – gar kein Umsatz – Pleite, verhindert die Mieteinnahmenkalkulation zwischen Banken und Eigentümern oder eine geheime Arbeitsgruppe beim Verband der Hauseigentümer mit Humor und Schalk, zwecks Ostberlinfeeling.

Richtig satt ißt sich nur der echte Untergrund. Am „Oktagon", Ecke Revaler/Warschauer Straße weist im Morgengrauen ein froh springendes Dutzend possierlicher Säuger nachdrücklich auf Zuchtmöglichkeiten der asiatischen Wanderratte zu fetten deutschen Dackeln hin. Im Rudel quieken sie aus Mülleimern und -Säcken und sind auch ansonsten sehr hübsch anzusehen. Im „Oktagon" bekommt man auch nach ausdrücklichem Verlangen keine Ratten gegrillt, nur die übliche Pampe. „Ratten nur draußen." Deswegen triefen die Lefzen der Bettelpunkhunde so todtraurig an der Warschauer, sie kriegen nichts ab.

Es wäre falsch, der türkischen Diaspora profane Rache für den Berliner Kongreß von 1878 zu unterstellen. Zwar verlor die Türkei damals Rumänien, Serbien und Montenegro, Zypern, Bosnien-Herzegowina. Ihnen bleibt tatsächlich nichts anderes übrig. Deswegen sind sie so herrlich berlinisch unfreundlich.

Essen kann man nach 1 Uhr nur in Kreuzberg. Es gibt da auch die besseren Klubs, Kneipen und Bars. Deshalb stirbt die Nachtgastronomie in Ostberlin.

Jeder Kommunalpolitiker profilierte sich einst im heroischen Kampf gegen Rotlichtmeilen, Spielhallen und illegale Klubs. Die Notwendigkeit eines entschlossenen Kampfes für menschenwürdiges Essen dokumentiert die Zivilisationsstufe, die der Immobilienmarkt Ostberlin zuweist.

Heinrich Hecht

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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