Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Dieser Raum

darf auf keinen Fall verschwinden"

Die Organisatorinnen der „White Cube"-Ausstellung wollen

weiter für eine Kunsthalle im Palast kämpfen

Als die Zeit der Zwischennutzung längst abgelaufen schien, gelang es Constanze Kleiner und Coco Kühn, mit 36x27x10 im „White Cube" noch eine allerletzte Ausstellung im Palast der Republik zu organisieren, an der 36 international bekannte, in Berlin lebende Künstler (u.a. Olafur Eliasson, Monica Bonvicini und Thomas Scheibitz) teilnahmen und die die Frage aufwarf, warum die selbsternannte Kunstmetropole über keine Kunsthalle verfügt. Obwohl die Ausstellung in den Feuilletons gefeiert wurde, ignorierte die Berliner Politik dieses sonst bei jeder Gelegenheit eingeforderte Bürgerengagement.

Der „White Cube" war ja nicht eure Erfindung. Er ist sozusagen ein Relikt der Fraktale-Ausstellung, die ursprünglich die letzte Zwischennutzung des Palasts sein sollte. Was hat euch an diesem in den Palast hineingebauten Raum so begeistert?

Kühn: Der White Cube ist mit seinen 1000 m2 an sich ein beeindruckender Raum und für Ausstellungszwecke ideal: 10 Meter hohe, weiße, glatte Wände, eine Stahlträgerdecke, an die man schwerste Skulpturen hängen kann, darüber eine Betondecke, die Hängungen an jedem Punkt im Raum ermöglicht.

Kleiner: Für mich ist er ein Kunstwerk per se. Der Raum war für mich eine unerwartete Verdeutlichung der Gesamtqualität des Gebäudes, so daß ich sofort das Gefühl hatte: Dieser Raum darf auf keinen Fall verschwinden und muß weiter genutzt werden. Die Initiatoren der Fraktale hatten sich ja dazu verpflichtet, den White Cube nach der Ausstellung wieder abzureißen. Das war für mich der Anfang, und in dieser Situation stieß ich auf Coco Kühn.

Der halb abgewrackte Palast und der White Cube als modernes Paradigma des Klinisch-Reinen bilden ja zunächst einmal einen denkbar großen Gegensatz.

Kleiner: Deine Formulierung vom „abgewrackten" Palast ist ja schon eine Interpretation. Für mich ist der Palast ein beeindruckender Rohbau aus Glas, Beton und Stahl, der seine Geschichte hat und dafür zu büßen hatte. Was dabei aber herauskam, ist eine wunderbare, neu beschreibbare Fläche, die vielen Möglichkeiten offensteht.

Einer der Hintergründe eurer Ausstellung war ja, darauf hinzuweisen, daß Berlin eine Kunsthalle fehlt und daß der White Cube dafür hervorragend geeignet wäre.

Kühn: Berlin hat seit 1993 keine Kunsthalle mehr. Damals wurde die Kunsthalle in der Budapester Straße eigentlich temporär geschlossen, aber nie mehr eröffnet. Seither sind mehr und mehr internationale Künstler in die Stadt gezogen. Es gibt hier international bekannte Künstler, die in aller Welt zu Museumsausstellungen eingeladen werden – nur nicht in Berlin. Es gibt zwar viele hervorragende Museen, aber keines, das auf zeitgenössische Kunst spezialisiert ist. Das sollte eigentlich der Hamburger Bahnhof sein, das „Museum für Gegenwart". Daraus ist aber mit Marx und Flick ein Sammlermuseum geworden, das nicht mehr flexibel und offen genug ist für große Einzelausstellungen zeitgenössischer Künstler. Wegen dieses Defizits haben sich die Künstler, denen wir sehr dankbar sind, auch bereit erklärt, an der von uns angeregten Ausstellung teilzunehmen.

Habt ihr bei der Organisation der Ausstellung tatsächlich an eine Chance geglaubt, den White Cube zu erhalten?

Kleiner: Selbstverständlich. Daher kam die Energie, diese Ausstellung unter den unlukrativsten Bedingungen zu organisieren. Wir wußten nicht, ob es uns gelingen würde, in den nur neun Tagen der Ausstellung diesen immensen Kostenberg zu erwirtschaften. Aber wir hatten dann zum Glück ca. 500 Besucher am Tag und die Ausstellung hat sich durch die Eintrittsgelder insgesamt getragen. Sie hat den Beweis erbracht, daß Kunst genau das richtige Thema für diesen Standort ist. Kunst ist für diese Stadt ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor. Wir denken, daß eine Kunsthalle an diesem Ort sogar ohne Zuschüsse existieren könnte. Die Politik und die Wirtschaft müßten darauf reagieren.

Ihr habt euch vertraglich dazu verpflichtet, den White Cube nach der Ausstellung abzureißen.

Kleiner: Wir mußten bereits mit ansehen, daß kleinere Seitenteile entfernt wurden. Die werden aber sorgfältig aufbewahrt. Die Kunsthalle gibt es noch.

Kühn: Wir thematisieren die Kunsthalle weiterhin, da sie ja weiterhin fehlt.

Aber jetzt ist der Abriß doch wirklich beschlossene Sache.

Kleiner: Davon würde ich in dieser Situation nicht ausgehen. Wir merken aufgrund von Rückmeldungen, daß diese Entscheidung von erstaunlich vielen Mitgliedern der Regierungsfraktionen nicht mitgetragen wird. Wir bekommen E-Mails von Mitgliedern des Bundestages, die sich davon distanzieren. Es gibt keinen vernünftigen Grund, an dieser Stelle schon aufzuhören, der zeitgenössischen Kunst ihren Platz an der Museumsinsel zu ermöglichen.

Kühn: Die Anzahl der Unterstützer wächst täglich. Es gibt große Institutionen wie die Kunstmesse ART FORUM oder den Berufsverband Bildender Künstler Berlin, die für die Weiterbespielung des White Cubes plädieren.

Interview: Florian Neuner

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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