Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Diskretion, ein Leben lang

Der Umgang mit Homosexualität in der arabischen Welt

Beim „schwulen Einwohnermeldeamt" gayromeo.com ist auch morgens viel los. Zur Bürozeit um 11 Uhr sind 15198 Männer angemeldet. Das Kontaktportal, das auch als kleiner, unauffälliger Messenger geöffnet werden kann, garantiert Anonymität und Diskretion – Eigenschaften, die für in Berlin ansässige schwule Araber von großer Bedeutung sind. Hier kann man Kontakte über das direkte Umfeld hinaus knüpfen, ohne Gefahr zu laufen, womöglich seinen Familienangehörigen oder Bekannten zu begegnen. Für viele ist das weiterhin eine direkte Voraussetzung, ihrer Lebensform nachzugehen. Sich zu ihr zu bekennen, ist für die meisten so gut wie unmöglich. So sind bei gayromeo auch Nutzer aus vielen arabischen Ländern vertreten, vor allem aus dem Libanon, gefolgt von Ägypten. In anderen Ländern spielt die Art des Internetzugangs eine Rolle, oft gibt es in den Cafés keine diskreten Kabinen und außerdem vehemente Linkkontrolle durch die Inhaber.

Arabische Gesellschaften gehen mit der Homosexualität eines Teils ihrer Männer nicht zimperlich um. Händchenhalten in der Öffentlichkeit und stärkerer Körperkontakt untereinander könnten aus europäischer Sicht fälschlicherweise als Zeichen für größere Offenheit Schwulen gegenüber gedeutet werden, faktisch ist jedoch eine starke Diskriminierung festzustellen. Durchweg wird Homosexualität als Perversion und als zu behandelnde Krankheit angesehen. Wie die in Berlin ansässige Aktionsgruppe gegen Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Identität (MeRSI) bei amnesty international vermeldet, hat Saddam Hussein kurz vor seinem Fall die Todesstrafe auf Homosexualität eingeführt, in Saudi-Arabien wurden vor sechs Jahren drei Jemeniten hingerichtet, Anklagepunkte: Analverkehr, Transvestismus, Homosexualität und Vergewaltigung kleiner Kinder.

Die Kombination der Anklagepunkte spiegelt viel von der arabischen Vorstellungswelt wieder: Homosexualität geht danach mit Analverkehr und Pädophilie einher, als absolut ehrabträglich gilt die passive Rolle beim Sex. So wird Pädophilie und Homosexualität durchweg in einen Topf geworfen, stellt man sich schwulen Sex meist parallel zur antiken Vorstellung ausschließlich als Kontakt zwischen einem älteren Mann und dem schönen Knaben mit klarer Rollenverteilung vor. Auf dieses Vergehen steht bei Muslimen die Steinigung, die Vorstellung arabischer Christen darüber liegt etwa auf der Linie der katholischen Kirche. „Schwul" ist als ein beliebtes Schimpfwort unter arabischen Jugendlichen auch in Berlin oft zu hören. Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf Homosexualität, wie sie in den letzten Jahrzenten in Europa stattfanden, sind in den arabischen Gesellschaften, selbst im Libanon, derzeit schlicht unmöglich. Für eine öffentliche Diskussion über Homosexualität ist es noch zu früh, auch wenn, so im Libanon, vereinzelt Organisationen existieren. Neben den Prostitutierten gelten Schwule auch als verantwortlich für die Verbreitung des HI-Virus, obgleich der Virus in arabischen Ländern hauptsächlich unter Heterosexuellen verbreitet ist. Auch Aids-Aufklärungskampagnen kommen schnell an ihre Grenzen, wenn es um gesellschaftliche Tabuzonen geht.

Kein Wunder also, wenn schwule arabische Männer ihren Familien ihre Orientierung verheimlichen und ein Leben lang Versteck spielen. Beim Besuch einer Berliner Schwulenkneipe bestelle man sich nie ein Taxi, der Fahrer könnte in das Lokal kommen und so sehen, wie sein Neffe sich mit einer liebevollen Umarmung von einem anderen Mann verabschiedet.

Sollte auch nur ruchbar werden, daß der Sohn nicht auf Frauen steht, ist zumindest mit Ehrverlust zu rechnen, das „Gesicht" steht immer auf dem Spiel. Im besten Fall einigt sich die Familie darauf, das Thema solange zu ignorieren, bis der Sohn ins Heiratsalter kommt. Auch in Berlin sind die arabischen Kreise sehr übersichtlich. Und auch, wer nur Angehörige aus dem weiteren Familienkreis in der Stadt hat, ist dem sozialen Heiratsdruck ausgesetzt. Der sieht traditionell vor, daß ein Mann zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen hat, da geht kein Weg dran vorbei. Beste Gewähr dagegen und für ein Privatleben ist eine eigene Wohnung, verbreiteter ist allerdings das Modell, daß der Sohn mit seiner Ehefrau bei Heirat direkt in die neue Wohnung überwechselt, Kurzaufenthalte in Studentenwohnheimen ausgenommen. Eine eigene Wohnung gilt allerdings gefährlicherweise auch als erstes Anzeichen für „Nestbau" und damit bevorstehende Familiengründung.

Argumente, die Familien hinzuhalten, gibt es viele: Zunächst kann man sein Studium, den Militärdienst, das fehlende Geld vorschützen, immer gut ist das Argument, noch nicht die richtige gefunden zu haben. Häufig wird auch eine Freundin gebeten, doch den Eltern zumindest eine Idee von der gewünschten Ehefrau vorzuspielen. Schwieriger wird es, wenn die Mutter beginnt, Heiratskandidatinnen auszusuchen. Zu ihren wohlmeinenden Vorschlägen „nein" zu sagen, gestaltet sich als Problem. Jeder Besuch zu Hause wird zur Bewährungsprobe. In der folgenden Klärungsphase geht es dann nur darum, ob der Sohn sich durchsetzen kann oder nicht. Mütter geben im besten Fall ihre Hoffnung auf oder nörgeln nur noch gelegentlich. Setzt die Familie sich durch, wird geheiratet. Dies geschieht meist, wenn die Familie droht, den Sohn rauszuwerfen. Da arabische Familien im Ausland zu größerem Konservatismus neigen, finden sich hin und wieder unter den Ehemännern verheiratete Schwule, die sich mit ihren Frauen arrangieren und damit abgefunden haben, diesen Teil ihrer Persönlichkeit der Familie vorenthalten zu müssen. Ganz selten ist es so, wie in einer Familie in Syrien, deren zweitjüngster Sohn offen schwul lebt: „Wenn dort ein Gast einen Witz über den ´warmen' Sohn reißt, steht einer der Brüder wortlos auf und weist dem Gast deutlich die Tür." Seinen Freund mit nach Hause zu bringen, bleibt aber tabu. Die Familie hat sich damit abgefunden, akzeptieren würde sie es nie.

Katja Brinkmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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