Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Der große Graben

Fusion von Linkspartei und WASG in Berlin vor dem Scheitern

In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) und Linkspartei. PDS (LPDS) in Berlin gemeinsam zur Landtagswahl am 17. September antreten.

Wagt man einen Blick in die Zukunft, könnte es zu folgendem Szenario am Wahlabend im Herbst kommen: Um 18 Uhr erscheint bei der ersten Hochrechnung ein siebter Balken und wächst über die Fünf-Prozent-Marke. Die WASG, die auf eine eigenständige Kandidatur gesetzt hat, zieht in das Abgeordnetenhaus ein. Die Stimmen für Rot-Rot reichen nicht mehr für eine Koalition.

Diese Prognose läßt sich mit einem Blick zurück in die Vergangenheit untermauern. Das Entstehen der Wahlalternative im Jahr 2004 ist in der Hauptstadt (wie auch in Mecklenburg-Vorpommern) weniger der „neoliberalen" Hartz IV-Politik der damaligen rot-grünen Bundesregierung geschuldet. Vielmehr war es die Unzufriedenheit mit der PDS, die beschuldigt wurde, in den jeweiligen Landesregierungen zusammen mit der SPD eine unsoziale Politik zu betreiben. So stellt sich heute auf Seiten der WASG in beiden Bundesländern unmittelbar die „Gretchenfrage" der Regierungsbeteiligung, zeitgleich wird dort am 17. September gewählt werden.

Glaubt man jüngsten Äußerungen eines der Protagonisten, des Vorstandsmitglieds der Berliner WASG, Michael Prütz, ist es schon so gut wie entschieden, daß man eigenständig zur Wahl antritt. Zwar gibt es noch Ende Januar einen Kongreß über Für und Wider einer Regierungsbeteiligung und einen Monat später einen Landesparteitag mit anschließender Urabstimmung der 1000 Mitglieder zur Frage, ob mit oder ohne Linkspartei zur Abgeordnetenhauswahl. Doch scheint dieser Terminplan nur noch der Wahrung des Scheins zu dienen. Denn auch die LPDS hat ihre Zurückhaltung jetzt vollends aufgegeben. Am 23. Januar erklärte die Berliner, Brandenburger und Sachsen-Anhaltinische LPDS: Dort, wo Mehrheiten in den WASG-Landesverbänden „das Ziel des gemeinsamen Parteibildungsprozesses ablehnen, sind weitere Gespräche ohne Sinn."

In Berlin ist der Graben zwischen LPDS und WASG zu groß, als daß er in kurzer Zeit überbrückt werden könnte. Die LPDS wird ihre Regierungsbeteiligung nicht aufgeben, die Mehrheit der Berliner WASG dagegen steht für die herrschende Senatspolitik nicht zur Verfügung. Zwar hat man in letzer Zeit wieder miteinander gesprochen, ob aber die geplanten Foren zu Themen wie Wirtschaft und Arbeit, Bildungspolitik oder Soziales tatsächlich noch stattfinden, dürfte fraglich sein. Zu offensichtlich treten verschiedene Auffassungen von „linker Politik" bei den einzelnen Beteiligten zu Tage, bedingt durch unterschiedliche politische Kulturen und Biographien, aus denen die politischen Einschätzungen und Weltbilder resultieren. Die eher konservativ-sozialdemokratische Berliner LPDS glaubt angesichts der knappen Kassen mit ihrer Regierungsbeteiligung das Richtige zu tun und Schlimmeres zu verhindern, während die sozialbewegten Leute von der WASG meinen, daß unter den herrschenden Bedingungen erst einmal opponiert werden muß.

Die vom einstigen PDS-Mitglied Prütz zusammen mit einer fusionkritischen Riege dominierte Berliner WASG hat ihren Zeitplan mit Bedacht gewählt, um den Weg für ein eigenständiges Antreten zur Abgeordnetenhauswahl zu bereiten. Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 26. März kann es sich der Bundesvorstand der WASG nicht leisten, Sanktionen gegen die aufrührerischen Berliner auszusprechen. Überhaupt wird der Bundesvorstand zunehmend von einigen Landesverbänden kritisiert, weil er sich über die Köpfe der Basis hinweg auf das „Kooperationsabkommen III" mit der LPDS eingelassen hat. Bis Mitte 2007 soll die Fusion beider Parteien vollendet sein. Das geht vielen WASGlern zu schnell, weil sie befürchten, einfach geschluckt zu werden. Um sich den Rücken freizuhalten, muß die Bundes-WASG, will sie die Fusion mit der Linkspartei insgesamt nicht gefährden, wohl auf Dauer ihren renitenten Berliner Landesverband aus der Partei ausschließen.

Lorenz Matzat

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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