Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wir haben doch Schering und ein Entertainment-Hotel!

Bezirksbürgermeister diskutieren die soziale Spaltung der Stadt

Heinz Buschkowsky ist SPD-Mitglied, Bürgermeister in seinem Heimatbezirk Neukölln und hat sich mit markigen Sprüchen zu Integration und Ghettoisierung berlinweit einen Namen gemacht. Joachim Zeller ist CDU-Mitglied und Bürgermeister im Großbezirk Mitte, in dem es – wie in Neukölln – ebenfalls Gebiete mit extrem hohen Arbeitslosenzahlen gibt. Beide saßen mit dem Publizisten Wolfgang Kil auf einer von der Evangelischen Akademie veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema „Berlin – von der politischen Teilung zur sozialen Spaltung".

Über die einleitenden Befunde des Soziologen Hartmut Häußermann ­ rasante Deindustrialisierung, Verschwinden von Massenarbeitsplätzen vor allem für Geringqualifizierte, demographischer Wandel, wachsende soziale Gegensätze, kleinräumliche Entmischungsprozesse ­ war kaum zu streiten, mal abgesehen von dem interessanten Begriff der „sich sammelnden Bevölkerungsreste", den der Soziologe ganz en passant fallen ließ. Die anschließende Debatte bot wenig Neues, entbehrte aber nicht eines gewissen Unterhaltungswerts.

Die erstaunliche Harmonie auf dem Podium nahm Zeller gleich vorweg: „Es gibt nicht viel zu streiten." Daß Buschkowsky, in dessen Bezirk nach eigener Aussage die Arbeitslosigkeit gebietsweise bei 45 Prozent liegen soll, nicht mal die Idee eines Finanzausgleichs zwischen Bezirken unterschiedlicher Problemdichte verfolgen wollte, wunderte den Publizisten Kil dann aber doch. „Ich kann ja nicht mit'm T34 vorm Steglitzer Rathaus vorfahren", gab der Bürgermeister zurück. Häußermann hatte mit der Fahrzeugwahl zwar keine Probleme, empfahl aber eine Adreßkorrektur: Buschkowsky müsse mit dem T34 wohl eher beim Finanzsenator vorfahren. Wegen der Investitionen in Bildung. Eine Diskussion über die Bildungskatastrophe habe es schon in den Sechzigern in Westdeutschland gegeben, damals waren Katholiken, Landbewohner und Mädchen die Benachteiligten. Das „katholische Mädel vom Lande" sind für Häußermann heute die Migranten, doch statt darin eine gesellschaftliche Aufgabe zu sehen, werde heute bloß die Parole „Integriert euch!" ausgegeben.

Die bekannte M-Falle wollte der Moderator vermeiden und die Debatte nicht nur auf Migranten fokussieren, sondern über die schwierige Situation aller vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen reden, über Formen jenseits des Arbeitsmarktes und informelle Ökonomie. Was nicht so einfach war, weil sich Joachim Zeller zwischendurch mit einer etwas mißverständlichen Äußerung Vorwürfe aus dem bildungsbürgerlichen Publikum eingehandelt hatte. Er hatte als Beispiel angemerkt, daß man in Mitte einen türkischen Ladenbesitzer, der ohnehin sich und seine Familie ausbeute, nicht auch noch mit dem Ladenschlußgesetz drangsalieren dürfe. Das rief erstens einen Ladenschlußgesetzverteidiger auf den Plan, der auf Gesetzeseinhaltung pochte, zweitens einen Frauenverteidiger („Die Ausbeutung in Läden geht zu Lasten der Mädels") und etwas verspätet dann auch noch Häußermann: Ausbeutung sei „nicht okay". Worauf Zeller leicht genervt korrigierte: „... die ihre Familien anstellen!" Wenn schon nicht die soziale Lage, war für den Moment immerhin die politische Korrektheit gerettet.

Was geschieht, wenn Arbeit als Integrationsfaktor wegfällt? Welche Formen der gesellschaftlichen Kommunikation und der sozialen Anerkennung könnte es jenseits von Vollbeschäftigung geben? Über die Notwendigkeit dieser Fragen gab es schönsten Konsens ­ auch wenn Buschkowsky paradoxerweise plötzlich bestritt, daß es keine Arbeit gibt. Weil aber Antworten nicht in Sicht waren und Zeller zuvor vor Panikmache gewarnt und auch die Stärken des Wedding aufgezählt hatte (Schering, Virchow-Klinikum, Fachhochschulen, Studenten in der Koloniestraße, keine No-go-Areas), wollte Buschkowsky am Ende auch noch schnell seinen Werbeblock für Neukölln unterbringen: Neukölln hat das „größte Entertainment-Hotel Europas" und ist Produktionsstandort für Zigaretten, Kaffee, Meggle-Kräuterbutter, Herzschrittmacher. Eine vitale Mischung.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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