Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Hartz IV produziert Hartz IV

Kinder von ALG II-Empfängern erhalten keine kompetente Berufsberatung mehr

Ausbildungspreis der Deutschen Wirtschaft! Initiativpreis des Industrie- und Handelskammertages! „Ausbildungs-Ass 2005" der Jungen Deutschen Wirtschaft! Derzeit erntet der Verein SOS Kinderdorf e.V. mit einem Modellprojekt zur Berufsausbildung für junge Frauen und Mütter allerorten Lob und Anerkennung. Und dies ist nur ein Projekt von vielen: Allein im Weddinger SOS-Ausbildungszentrum Berlin des SOS-Vereins werden derzeit 250 junge Erwachsene in neun anerkannten Ausbildungsberufen qualifiziert.

Doch all die Preise und die Anerkennung ändern nichts an einem aberwitzigen Paradox, das dem Verein derzeit große Sorge macht: Geförderte Ausbildungsplätze bei anerkannten Ausbildungsträgern bleiben unbesetzt, obwohl in Berlin ca. 30000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchen. So haben beispielsweise im Wedding unter den Schulabgängern der Hauptschulen nur jeweils ein bis zwei Schüler pro Klasse einen Ausbildungsplatz erhalten. Grund für dieses Paradox ist nicht flächendeckende Arbeitsunlust, sondern eine durch Hartz IV nochmals aufgeblähte, gleichzeitig aber völlig überforderte Bürokratie, die die Jugendlichen in einer Art Sippenhaftung hält.

Denn junge Erwachsene, die einen Ausbildungsplatz suchen und deren Eltern das Arbeitslosengeld II erhalten, werden nun nicht mehr durch die Berufsberatung bei der Suche unterstützt. Da sie zur „Bedarfsgemeinschaft" der Eltern gezählt werden, sind für sie die neuen „ARGEn", Arbeitsgemeinschaften aus den früheren Arbeitsämtern und Sozialämtern zuständig. Dort gibt es zwar auch Mitarbeiter, die speziell für die Jugendlichen zuständig sind, die sogenannten „U25 Teams", denen jedoch meist die Fachkenntnis und die geeigneten Angebote fehlen. Hinzu kommt ein endloses Kompetenzgerangel zwischen ARGEn und Jobcenter. Weil die Zuweisungsregeln zwischen Arbeitsagentur und ARGEn nicht klar sind, werden von der Agentur ausgeschriebene Ausbildungsplätze teilweise nicht besetzt. Stattdessen werden die Jugendlichen, um wenigstens auf dem Papier statistische Erfolge zu produzieren, in kurzfristige Beschäftigungs- und Trainingsmaßnahmen gesteckt, wo sie Ein-Euro-Jobs absolvieren oder das Verfassen von Bewerbungen üben dürfen. In manchen Städten Ostdeutschlands, wo die Arbeitslosigkeit teilweise deutlich über 25 Prozent liegt, werden Ein-Euro-Jobs überhaupt nur noch an unter 25jährige vergeben ­ „Ausbildungsoffensiven" sehen anders aus.

De facto entscheidet nun die Art des elterlichen Einkommens über die Qualität der Beratung und die Vermittlung von Angeboten für Jugendliche. Dabei sind für die Kinder von ALG II-Empfängern die Hartz IV-Karrieren quasi schon amtlich vorprogrammiert: Ein-Euro-Jobs oder „Trainingsmaßnahmen" ersetzen nun einmal keine Berufsausbildung. Und nicht wenige Jugendliche, gerade unter Migranten, kapitulieren schon vor dem Behördendschungel und bleiben ganz weg. Gleichzeitig werden die über Jugendhilfe finanzierten Ausbildungsplätze drastisch zusammengestrichen ­ in Berlin etwa werden aufgrund der Sparmaßnahmen der Bezirke nur noch 400 Plätze von 1300 gefördert.

Um einen Anlaufpunkt für Berliner Jugendliche zu schaffen, die Orientierung und Hilfe im Behördendschungel suchen, hat das SOS-Berufsausbildungszentrum im Wedding das Jugendberatungshaus sos.mitte geschaffen, das als Bindeglied bei Berufsorientierung und Ausbildungsplatzberatung fungiert.

Ulrike Steglich

* www.sos-berlin.de, Jugendberatungshaus sos.mitte, Kongostraße 28, 13351 Berlin, fon 45798040

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