Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Foto: Jörg Gruneberg

„Ich kann mit der Groteske die Wahrheit sagen"

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Edgar Hilsenrath

Weshalb haben Sie in ihrem berühmtesten Buch Der Nazi&der Friseur die Täterperspektive gewählt?

Mein erster Roman Nacht handelte von den Opfern. Ich wollte den Holocaust dann mal aus einer anderen Perspektive schildern und habe diese Wechselrolle gewählt: Das Ganze wird von einem Nazi erzählt, der aber dann Jude wird. Der erzählt das aus zwei Perspektiven. Er wird Jude und versucht sich in die neue Rolle einzufühlen, indem er das Ganze vom Gesichtspunkt des Juden sieht. Und das gelingt ihm auch. Aber natürlich bleibt er der Täter. Der Nazi&der Friseur ist eine satirische Groteske. Ich kann mit der Groteske die Wahrheit sagen, nur verkleidet. Es wirkt oft glaubhafter, wenn es durch die Groteske verfremdet wird. Eine andere Form der Verfremdung ist das Märchen. Es ist eine Möglichkeit, auf spielerische Weise die Wahrheit zu sagen. Meine Bücher sind politisch und soziologisch genau fundiert, sie entsprechen genau den Ereignissen. Aber ich hab' das verkleidet in Märchenform und Groteske. Die Sprache, die ich gewählt habe, ist meine persönliche Sprache. Und ich hab' immer das Bedürfnis gehabt, die deutsche Sprache aufzulockern, nicht so steif zu schreiben. Ich schreibe ganz bewußt salopp.

Der Nazi&der Friseur ist zunächst 1971 in den USA erschienen, erst einige Jahre später in Deutschland. Wie hat sich die Rezeption unterschieden?

In Amerika ist der Roman von der ganzen Presse sehr positiv aufgenommen worden. Er hat aber kein großes Aufsehen erregt. Das Buch erschien mit einer kleinen Auflage und wurde dann erst ein Erfolg, als die Taschenbuchausgabe herauskam. Die deutschen Verlage haben alle das Buch abgelehnt, erst der kleine Literarische Verlag Helmut Braun hat es dann gemacht. Ich hab' den Helmut Braun hier in Berlin kennengelernt, im Buchhändlerkeller. Der hatte von dem Buch gehört und hat mich gebeten, das Manuskript zu schicken. Er hat es dann mit Begeisterung gelesen und mir sofort einen Vertrag geschickt. Braun war für mich ein Glücksfall. Er hat das Buch durchgesetzt. Er hat auch die Nacht gedruckt, ist aber dann pleite gegangen – nicht durch mich. Nacht war schon 1964 bei Kindler in München erschienen, ist aber vom Verlag boykottiert worden. Der Verleger war begeistert, aber der Verlag war gegen das Buch und hat dann den Kindler veranlaßt, das Buch zurückzuziehen. Es erschien mit einer ganz kleinen Auflage, ohne Werbung. Die haben es kaputtgemacht.

Auch mein poetischstes Buch, Das Märchen vom letzten Gedanken, ist später von Hanser abgelehnt worden mit der Begründung, so dürfe man nicht über den Völkermord schreiben. Das ist eine Folge des deutschen Schuldkomplexes: Man darf die Opfer nur positiv beschreiben, als moralisch einwandfrei. Und das habe ich nicht gemacht.

Die deutsche Fassung von Der Nazi& der Friseur ist um zweieinhalb Seiten gekürzt. Es fehlt die Szene, in der Max Schulz Gott fragt, wo er denn gewesen sei während des Holocaust. Warum haben Sie das Ende für die deutsche Fassung verändert?

Weil das Ende Max Schulz, ja den Deutschen überhaupt entlastet und die Schuld Gott zuschiebt. Ich bin dann zu der Überzeugung gekommen, daß ich das streichen muß.

War Ihnen beim Schreiben von Nacht schon bewußt, daß der Text eine große Provokation darstellt?

Nein, gar nicht. Ich habe Nacht geschrieben, weil ich einen Ghetto-Roman schreiben wollte, aus meiner Sicht ­ ohne nachzudenken, wie die Konsequenzen sind. Ich wollte vor allen Dingen etwas anderes machen. Es sind ja viele Romane erschienen über den Holocaust. Ich wollte etwas Neues machen. Ich habe das einfach so geschrieben, wie ich es erlebt habe. Der Leser von Nacht wird so hineingezogen, als ob er selbst im Ghetto wäre.

Der Titel Ihres Buches Fuck America trifft gegenwärtig auf eine anti-amerikanische Stimmungslage. Sie haben selbst über 20 Jahre lang in Amerika gelebt. In Fuck America heißt es einmal: „Eine ganze Woche hatte ich überlebt." Da drängt sich fast eine Parallele zur Ghetto-Erfahrung auf.

Es war natürlich ein Überlebenskampf in einem anderen Sinn. Ich war ja nicht politisch bedroht. Das war eine existentielle Frage: Um zu leben, mußte ich mich durch Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Und um zu schreiben, habe ich so wenig wie möglich gearbeitet. Ich hab' zwei, drei Tage in der Woche gearbeitet und in der restlichen Zeit geschrieben.

Ich war sehr enttäuscht, aber das war meine eigene Schuld. Ich habe drüben als deutscher Schriftsteller gelebt und war deshalb immer Außenseiter. Ich habe nicht vom Schreiben leben können und habe mich ernährt durch Gelegenheitsjobs. Das waren die niedrigsten Jobs, die man machen kann. Ich war ziemlich unglücklich. Mich hat diese Sucht nach Geld, diese Jagd nach dem Dollar gestört. Das Materialistische hat mich wahnsinnig gestört.

Warum sind Sie 1975 nach Deutschland zurückgekehrt?

Die Ausstellung in der Akademie der Künste läuft unter dem Titel Verliebt in die deutsche Sprache. Ich habe mich tatsächlich in die deutsche Sprache verliebt, und zwar in Rumänien. Ich hab' in der Bukowina gelebt. Das hat mal zu Österreich gehört und wurde dann von Rumänien annektiert. Und in der Bukowina sprach man Deutsch. Das war eine deutsche Insel außerhalb Deutschlands. Die deutsche Sprache mußte man dort lieben, um sie nicht zu verlernen. Ich hab' nie versucht, Englisch zu schreiben. Englisch ist immer noch eine Fremdsprache, obwohl ich perfekt Englisch spreche.

Haben Sie den Eindruck, daß sich der Umgang mit der Vergangenheit in den Jahren seit der Wiedervereinigung geändert hat?

Ich war von Anfang an der Meinung, daß die neue Generation ja nichts zu tun hat mit dem Holocaust. Meine Freunde sind auch meistens viel jünger als ich und unbelastet, was mir sehr gut tut. Ich persönlich habe bis jetzt keinen Antisemitismus gespürt.

Und der offizielle Umgang ...

Ein bißchen zuviel! Im Fernsehen kommen ununterbrochen Sendungen über Hitler und über Eva Braun. Vielleicht entspricht das ja einem Bedürfnis der Bevölkerung, ich weiß nicht.

Sie haben einmal gesagt, Literatur müsse unterhaltsam sein. Hoffen Sie auf diese Weise, mit Ihren Themen ein großes Publikum zu erreichen?

Ich bin fest davon überzeugt, daß Literatur unterhalten muß. Romane, die langweilig sind, lese ich ja gar nicht. Ich lese ein paar Seiten und lege das Buch weg. Jeder Schriftsteller hofft, daß er ein großes Publikum findet. Aber ich denke nicht daran, wenn ich schreibe. Ich schreibe, um das Thema loszuwerden. Und dann denke ich darüber nach, was daraus wird.

Mich hat der Holocaust geprägt. Alle meine Romane haben ja etwas mit Gewalt zu tun und Unterdrückung. Ich versuche, ein Zeichen zu setzen gegen die Gewalt.

Interview: Ken Kubota

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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