Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Labiles Gleichgewicht

Die magischen Bildwelten Mirko Schallenbergs

Wenn man eine Weile vor seinen großformatigen Bildern steht, wird man von ihrer statuarischen Ruhe in Bann gezogen. Der 1967 in Northeim geborene Mirko Schallenberg konzentriert sich in seiner Malerei ganz auf die dargestellten Gegenstände und auf den leeren Raum dazwischen, den zu malen zu den schwierigsten Dingen der Malerei gehört. Es handelt sich bei diesen Bildern um großformatige Stilleben, labile Konstruktionen von alltäglichen Gegenständen wie Einmachgläsern, Ziegelsteinen, Abwasserrohren sowie feineren Materialien wie edlen Steingutvasen oder Krügen. Diese Objekte sind meist zu Ensembles aufgetürmt und bilden trotz ihrer formalen Verschiedenartigkeit eine unaufdringliche Harmonie. „Wir gebrauchen die Gegenstände in unserm Alltag, sie haben immer eine Funktion. Bei mir ist der Gegenstand nur für das Bild dimensioniert und bekommt so eine erste Realität", sagt der Maler.

Bei Schallenberg gibt es keine vordergründigen Sinnkonstruktionen, die mit irgendeiner Semantik auf eine Botschaft verweisen würden. Er enthält sich gleichsam eines Kommentars, läßt zu, daß die gemalten Gegenstände ohne seine Einmischung existieren. Diese behutsame Geste verleiht den Vasen, Milchkannen, Kaffeetassen, Blechdosen, Äpfeln und Marmeladengläsern eine geradezu magische Präsenz.

Wir müssen anerkennen, daß diese Gegenstände auch ohne uns leben, ja ihr Eigenleben haben, was uns bisher so kaum in den Sinn kam. Es zeigt sich in ihrer Eigenart, sei sie nun blechern oder gläsern, organisch oder anorganisch, weich oder kristallin. In den Stilleben entwickeln die Gegenstände mitunter subtile Beziehungen zueinander. Eine edle Lilie in einer gläsernen Vase betrachtet mit verhaltener Distanz eine einfache rundbäuchige Feldflasche; zwei aufeinandergestülpte Kaffeetassen vermitteln das Glück der Geborgenheit einer passenden Umarmung; eine leere Blechdose mit geöffnetem Deckel im rechten Bildfeld und eine an einer Schnur herabhängende Tasse im linken Bildfeld wenden sich einander zu, können sich jedoch nicht berühren.

In den letzten Bildern von Mirko Schallenberg taucht ein neues Motiv auf: die Wespe unter der Käseglocke. Die aufgetürmten Gegenstände befinden sich in einem so labilen Gleichgewicht, daß die Konstruktion beim Anheben der Käseglocke sofort zusammenbrechen würde. Man darf darin eine Metapher für nervöse Unruhe, ja sogar für verzweifeltes Unbehagen am hermetisch abgeschlossenen Privatraum des bürgerlichen Individuums herauslesen. Aber auch hier geht es primär um die Darstellung der Bildgegenstände und den Raum, den sie umschließen. Der Hohlraum nämlich, der ja immer mitgemalt wird, bestimmt die Bildatmosphäre. Besonders bei den Glasobjekten werden diese inwendigen Räume sichtbar. In der weitgehenden Lösung von affektiver und reflexiver Aufladung sind die Stilleben utopische Orte, wo alles zur Ruhe kommen kann ­ selbst die Wespe unter der Käseglocke, vorausgesetzt, daß niemand eingreift. Das entspricht übrigens auch der fernöstlichen Sicht. Indem man alles sein läßt und niemandem seinen Willen aufzwingt, rückt sich alles wie von selbst ins Gleichgewicht. Denn die eigentliche Kunst der Mimesis besteht darin, die äußeren Erscheinungen in ihrem jeweiligen Zustand wahrzunehmen und ihr eigenes Wesen zu respektieren.

Die Werke Mirko Schallenbergs wurden im November vom Kunstverein Der Blaue Salon, der sich aus Künstlern, Theoretikern und interessierten Laien zusammensetzt und jährlich ein bis zwei Ausstellungen realisiert, in der Invalidenstraße 115 gezeigt. Wer jetzt auf die Originale neugierig geworden ist, der kann sich an die „galerie open" wenden, wo der Maler ständig vertreten ist.

Sanna Böswirth

* www.galerie-open.com

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