Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Abschied von der öffentlichen Daseinsvorsorge

Berlin und Buenos Aires ­ eine kleine Privatisierungsgeschichte im Vergleich

Berlin und Buenos Aires verbindet eine zehnjährige Städtepartnerschaft, die letztes Jahr scheinbar aus der Trickkiste der Politik gesprungen ist. Tangoveranstaltungen, Vergangenheitsbewältigungsmodelle und jede Menge Kunst gingen plötzlich repräsentativ über die Bühnen der Hauptstädte. Manche haben sich gewundert über die groben Vergleiche und Klischees, die keiner der beiden Metropolen gerecht werden. Es gibt aber durchaus die, die in Argentinien – und damit ist ja oft und vor allem Buenos Aires gemeint – eine Vorwegnahme europäischer Entwicklungen sehen. Gemeint ist damit das neoliberale Modell, das sich durch die Vorgaben von Weltbank und IWF unter der Regierung von Carlos Menem in den neunziger Jahren fast ungehindert durchsetzen konnte. Liberalisierung des Marktes, Angleichung des Peso an den Dollar und, sieh an: ein Wirtschaftswunder! Große Konzerne aus Europa und Amerika kamen und kauften alles, alles, alles ... Das füllte aber nicht die Staatskassen, sondern die Schmiergeldkonten der korrupten Politiker und Unternehmer.

Ein Beispiel unter vielen ist die Wasserversorgung. Wasser ist ein öffentliches Gut und sollte jedem Menschen auf der Welt zugänglich sein. Ist es aber nicht: 1,7 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser, die Zukunft sieht noch schlechter aus. Eine Ungerechtigkeit, die auch die privaten Konzerne nicht interessiert. Das Wasser von Buenos Aires wurde 1993 von Suez/Ondeo (Frankreich) gekauft. In den Folgejahren wurden die Preise um bis zu 100 Prozent erhöht, die Abwasserentsorgung ­ trotz vorheriger Zusage ­ nicht modernisiert. 1999 waren im Großraum Buenos Aires bereits 30 Prozent der Haushalte von der offiziellen Wasserversorgung abgeschnitten ­ weil sie ihre Rechnung nicht mehr bezahlen konnten. Die Gewinngarantie erhielt sich Suez aber bis 2002, als der Peso entwertet wurde. Mit einer Währung, die nur noch ein Viertel ihres Wertes besitzt, konnte auch der Staat keine Euro-Preise mehr bezahlen. Seit 2004 klagt Suez bei der Welthandelsorganisation WTO auf die Wiedereinführung seiner Rendite, bisher erfolglos. Denn Argentinien ist hochverschuldet. Außerdem bemüht sich Präsident Néstor Kirchner um eine etwas sozialere Politik als seine Vorgänger, die von einer wütenden Bevölkerung aus dem Amt getrieben wurden. Bei der Stromversorgung konnte der Staat sich dieses Jahr sein Vetorecht, sprich: einen entsprechend großen Anteil der Aktien zurückkaufen.

In Deutschland rollte die Privatisierungswelle Mitte der neunziger Jahre an. Im Rahmen der weltweiten Liberalisierung von Dienstleistungen (General Agreement on Trade and Services, GATS) sind seitdem in Berlin unter anderem die landeseigenen Betriebe Bewag, Gasag, Wasserbetriebe und Kliniken zu großen Teilen oder komplett privatisiert worden. Das neoliberale Credo lautet, daß Betriebe privat wirtschaftlicher arbeiten, und definiert dabei die Grundversorgung (auch öffentliche Daseinsvorsorge genannt) um: Wasser, Gas, Strom, Gesundheit, Bildung und Wohnung sind jetzt keine allgemeinen Güter mehr, sondern Wirtschaftsgüter. Die Folgen: Verschlechterung der Versorgung, Preissteigerungen, Entlassungen ­ siehe Argentinien.

Zumindest eines der drei Phänomene hat inzwischen auch jeder Berliner schon selbst erfahren: Strom ist seit dem Jahr 2000 für die Verbraucher bis zu 32 Prozent teurer geworden, die Berliner Gaspreise schnellten nach der Privatisierung der Gaswerke 1998 sogar um 50 Prozent in die Höhe. Die Berliner Wasserbetriebe, die 1999 zu 49,9 Prozent an die Marktriesen RWE (Deutschland) und Veolia (Frankreich) verkauft wurden, haben sich, traditionsbewußt, vom Land eine jährliche Mindestrendite von acht Prozent zusichern lassen ­ neben der Monopolstellung ein Grund für die erneute Anhebung der Preise um 15 Prozent. Berliner Wasser ist also nicht zum Spielen da, wie es uns die Plakatwerbung gerne vorgaukelt, sondern mittlerweile das teuerste der Bundesrepublik. Zur Zeit wird die Privatisierung der städtischen Krankenhäuser vorangetrieben, Wohnungsbaugesellschaften sind bereits größtenteils in den Händen privater Investoren (s. scheinschlag 8/05). Der einzige öffentliche Bereich, der noch nicht vollständig zur Ware geworden ist, ist die Bildung. Und daß in allen Bereichen entlassen worden ist, was das Zeug hielt, liegt sowieso im allgemeinen Trend des Arbeitsmarkts: In Berlin wurden seit der Privatisierung der genannten Betriebe durchschnittlich ein Drittel der Stellen gestrichen.

Trotz einer wahrscheinlich niedrigeren Korruptionsrate als in Buenos Aires konnte sich auch das Land Berlin durch Privatisierungen nicht gesund sanieren ­ an den Gewinnen der Privaten ist es ja schließlich nicht beteiligt. Seit kurzem orientieren sich aber die Verbraucher an Argentinien ­ und protestieren. In Hamburg konnte 2004 die Privatisierung des Wassers durch eine Bürgerinitiative verhindert werden. Potsdam kaufte 2000 seinen bereits privatisierten Wasseranteil zurück, als der Betreiber die Preise unverschämt anheben wollte. Und in Berlin strebt die Verbraucherzentrale im Moment eine Sammelklage gegen die Gasag an. Daß das Unternehmen seine Monopolstellung schamlos ausnutzt, hat 500000 Verbraucher dazu bewogen, die erneute Gaspreiserhöhung zu verweigern.

Konstanze Schmitt

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 10 - 2005 © scheinschlag 2005/06