Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bessere Zeiten für Wohnprojekte?

Im Bethanien gab's vorerst keine Räumung

Letztlich verstrich das Ultimatum folgenlos – die vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg für Anfang November angekündigte Räumung des vom Projekt „New Yorck" besetzten Bethanien-Seitenflügels in Kreuzberg fand nicht statt. Grund hierfür dürfte aber wohl weniger ein politischer Meinungsumschwung seitens des Bezirks als vielmehr die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Polizei gewesen sein. Diese nämlich macht rechtliche Bedenken geltend: Durch die monatelange Duldung der Besetzer, die nach dem Ende der Yorckstraße 59 ins Bethanien gezogen waren, sei die herkömmliche rechtliche Grundlage der „Berliner Linie" nicht mehr gegeben. Dergemäß haben die Ordnungshüter aufgrund des im Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes aufgeführten Sachverhalts „Gefahr im Verzug" die Möglichkeit, neubesetzte Häuser innerhalb von 48 Stunden zu räumen. Auch wenn es die Ordnungshüter in der Vergangenheit mit derartigen Rechtsvorschriften öfter nicht so genau nahmen, scheinen sie im Falle des Bethanien einen gerichtlichen Räumungsbeschluß abwarten zu wollen.

Doch statt vor Gericht zu ziehen, gibt sich der Bezirk nun wieder verhandlungsbereit und unterbreitete der „Initiative Zukunft Bethanien", die Räumlichkeiten im besetzten Teil des Bethanien nutzt und sich gegen die geplante Privatisierung des Gebäudes wehrt, ein Vertragsangebot über eine befristete Nutzung des besetzten Flügels. Der Nutzungsvertrag sieht vor, daß die zwei besetzten Etagen gegen Zahlung eines nicht näher definierten „Entgeltes" bis zu einer Entscheidung über das von der „Initiative Zukunft Bethanien" eingeleitete Bürgerbegehren gegen eine Privatisierung des Gebäudes, also voraussichtlich bis zum Spätsommer nächsten Jahres, genutzt werden dürfen. Hintergrund der plötzlichen Verhandlungsbereitschaft dürfte das für den Sommer auf dem Mariannenplatz geplante „StreetFootballWorld"-Turnier sein, an dem Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Ländern teilnehmen werden. Die wollte der Bezirk ursprünglich im Bethanien einquartieren.

Hiermit ist auch der erste Pferdefuß des Vertrages benannt, denn nach dem Willen des Bezirksamtes soll während des Fußballturniers eine gesamte Etage von den bisherigen Nutzern geräumt werden, um Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen ­ und zwar für mehrere Monate. Ein weiterer kritischer Punkt ist, daß die Unterzeichnung einer durch den Bezirk vollstreckbaren Räumungsverpflichtung für den Fall eines Scheiterns des Bürgerbegehrens als Bedingung für den Vertragsabschluß verlangt wird, womit sich das Bezirksamt einen monatelangen Prozeß gegen die Besetzer ersparen will. Gleichwohl ist man seitens der Initiative erfreut über die mit dem Verhandlungsangebot verbundene Deeskalation der Lage und kündigt Gespräche über den angebotenen Vertrag an. Immerhin könnte der Vertrag ein Zeitfenster eröffnen, in welchem das Bürgerbegehren in einer relativ konfliktfreien Atmosphäre durchgeführt und politischer Druck für eine an den Interessen der Anwohner und verschiedener Nutzergruppen des besetzten Flügels ausgerichtete Entwicklung des Bethanien aufgebaut werden könnte.

Über mangelnde Sympathien können sich die Besetzer des „New Yorck"-Projekts ohnehin nicht beklagen. Mittlerweile hat es eine Größe erreicht, für die die besetzten Etagen nicht mehr genügend Raum bieten. Ein Teil der „New Yorck"-Leute steht daher in Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds, um eine ehemalige Schule in Friedrichshain zu erwerben. Wie im Bethanien ist auch hier das Ziel, neben selbstverwaltetem Wohnraum ein soziokulturelles Stadtteilzentrum zu schaffen, in welchem unterschiedliche Initiativen und Gruppen tätig sein können. Sollten die Projekte erfolgreich sein, wäre dies ein Lichtblick in Zeiten, wo kommunales Eigentum reihenweise an finanzkräftige Investoren verscherbelt wird und ungeachtet der realen sozialen Lage in der Stadt Aufwertungsszenarien beschworen werden – weshalb ihre Bedeutung auch weit über den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hinausreicht.

Thorsten Friedrich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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