Ausgabe 10 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Vom Kopf auf die Füße

Eine neue Generation will den voreiligen Palastabriß verhindern

Entwurf: Anderhalten Architekten

Bis nach New York hatte sich die kulturelle Zwischennutzung des Palastes der Republik herumgesprochen. Christoph Wagner, der gerade dort arbeitete, war fasziniert. Und dann maßlos enttäuscht und ernüchtert, als er nach Berlin zurückkam – „denn die politische Ebene hier hatte überhaupt nicht reagiert, da bewegte sich gar nichts." Deshalb lud Wagner Mitte Oktober zu einem Treffen ein: In einem Wohnzimmer an der Schönhauser Allee wurde das „Bündnis für den Palast" ins Leben gerufen, das seither mit einer beachtlichen Kampagne ein Abrißmoratorium bis zu einer fundierten, demokratisch legitimierten Entscheidung über diesen Ort fordert – und jeden Tag neuen Zuwachs bekommt.

Die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 35, viele sind nach Berlin gekommen, weil sie die Brüche und die Offenheit der Stadt anzogen. So wie der Regisseur Marc Wilkins, 1976 in der Schweiz geboren, in England und München aufgewachsen, für den Berlin Heimat wurde: „Hier sieht man die jüngste Geschichte der letzten 80 Jahre, es ist eine der spannendsten Städte Europas. Berlin steht für meine Generation, die Generation der Wende. Es wäre schrecklich, wenn man sie zwingen würde, ihre Geschichte zu verstecken."

Immer häufiger fällt in diesem Zusammenhang das Wort vom Generationenkonflikt: Die Generation der Wende und der Wiedervereinigung, wie sie sich im Bündnis manifestiert, kennt den Kalten Krieg und die DDR aus den Geschichtsbüchern, wuchs auf im nicht mehr geteilten Europa und zugleich in einer sich verschärfenden Krise. Sie starteten ins Berufsleben, als Begriffe wie Schrumpfung, Alterung und Deindustrialisierung alltäglich wurden und die Arbeitslosenzahlen Rekordhöhen erreichten. Sie sind pragmatisch und prekäre Existenzen gewohnt; sie sind ostalgieunverdächtig und können mit den ideologisch aufgeheizten Schloßplatz-Debatten der Neunziger wenig anfangen. Sie sind rational, wenn es um die Hardware, also Gebäude geht, und visionär, wenn es um städtische „Software" geht: um Geist, Kreativität, Kultur, Geschichte. Im 1979 erbauten Palast der Republik sehen sie keinen „ästhetischen Schandfleck" oder ein „Dokument der SED-Diktatur", sondern ein Geschichtsdokument und eine nutzbare Ressource, den Rohbau eines modernen Gebäudes, das insbesondere mit den jüngsten Zwischennutzungen international für Aufsehen gesorgt hat und damit die junge experimentelle Kultur Berlins symbolisiert. Und sie sind welterfahren genug, um zu wissen, daß man international über eine provinzielle Vorvergangenheitsbeschwörung, wie sie an diesem Ort betrieben werden soll, nur noch den Kopf schüttelt.

Für diese Generation stehen Leute wie der Kölner Architekt Claus Anderhalten, der seit 13 Jahren in Berlin arbeitet. Er hat u.a. den Marstall für eine Neunutzung umgebaut und in Eigeninitiative ein Konzept entwickelt, wie der Palast mit wenig Aufwand als Präsentationsort für museale Sammlungen umgenutzt werden kann (s. Bild). Für ihn ist das erst 26 Jahre alte Gebäude ein Neubau und der Abriß schlicht ideologisch motiviert: „Altbauten hat Berlin genug. Aus Kölner Sicht wird in Berlin die Nachkriegsmoderne mit Füßen getreten." Der Architekt Philipp Oswalt, ebenfalls westdeutscher Herkunft, hat sich lange für die Zwischennutzung des Palastes engagiert und sieht in dem Bau, der nur zehn Jahre in der DDR genutzt wurde, inzwischen aber schon 15 Jahre Nachwendezeit überstanden hat, vielmehr ein Symbol der Transformation und des längst nicht abgeschlossenen Vereinigungsprozesses.

Das Stadtschloß, das der Bund an dieser Stelle neu bauen will, ist für Marc Wilkins nur noch „eine preußische Altmännerphantasie", ausschließlich fixiert auf ein Fassadenbild und beschworen von einer Politikergeneration, der der Kalte Krieg noch immer in den Knochen steckt. Das Bündnis kritisiert insbesondere den ökonomischen Wahnsinn und die politische Realitätsverweigerung – unter Verweis auf die Machbarkeitsstudie zum Schloßneubau, die das Bundesbauministerium selbst in Auftrag gegeben hat: Denn diese Studie weist auf nahezu jeder Seite nach, daß der Schloßneubau mit einem Humboldt-Forum, so wie bislang erträumt, nicht realisierbar ist, sondern nur unter erheblichen räumlichen Einschränkungen, unkalkulierbaren Risiken und als obskure Collage aus Barockkopie und Neubau. Und finanzieren müßte es durchweg der Steuerzahler: mit mindestens 1,2 Milliarden Euro, über 30 Jahre. Damit sind die Grundlagen des Bundestagsbeschlusses zum Palastabriß und die Empfehlungen zum Schloßneubau hinfällig. Philipp Oswalts trockene Metapher: „Sie können sich fünfzehnmal einen Porsche wünschen – wenn Sie ihn nicht bezahlen können, werden Sie ihn nicht bekommen."

Paradoxerweise müßte aber genau diese Generation, die mit permanenten Mittelkürzungen und Sparmaßnahmen groß geworden ist, jene von ihr abgelehnte preußische Altmännerphantasie über 30 Jahre lang finanzieren ­ und das in Zeiten horrender Verschuldung von Bund und Land. Diese Vorstellung macht nicht nur Marc Wilkins wütend: „Die, die jetzt entscheiden, werden die Folgen nicht mehr lange erleben. Wir werden das ertragen müssen."

Den wohl größten Flurschaden richtet aber die politische Ignoranz an, mit der dem inzwischen äußerst breiten Spektrum von Befürwortern eines Abrißmoratoriums begegnet wird und die sich in sturem Schweigen ausdrückt. Nach den jetzt vorliegenden Ergebnissen der Machbarkeitsstudie müßte die Debatte sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Bundestag noch einmal völlig neu begonnen werden, da erstmals überhaupt konkrete Aussagen vorliegen. Die ideologischen Gefechte der Neunziger sind dem Bündnis fremd. Sie haben gelernt, rational zu argumentieren, wollen die Sache vom Kopf wieder auf die Füße stellen und fordern vehement eine ergebnisoffene Diskussion ein, die so bislang noch gar nicht stattgefunden hat. Dafür investieren sie ihre Freizeit, organisieren Aktionen, Demonstrationen, Petitionen, Parties. Und sie wissen viele, auch prominente Unterstützer aus dem In- und Ausland auf ihrer Seite. Ob das Blatt noch zu wenden ist, ist dennoch fraglich.

Denn das Bündnis appelliert an einen Realitätssinn und eine Vernunft, die der Politik zunehmend abhanden zu kommen scheint. Davon zeugt zumindest die Antwort der Bundesregierung (nachlesbar unter www.petrapau.de/16_bundestag/ index_anfragen.htm) auf eine Anfrage der Linkspartei zum Thema Machbarkeitsstudie. So wird auf die Frage, warum diese Studie bis heute der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde, auf angeblich „schutzbedürftige firmen- und personenbezogene Daten" verwiesen. Was solche Verweigerungspolitik, das blinde Festhalten an überkommenen Entwürfen und das bewußte Belügen der Öffentlichkeit für die politische Kultur im Land bedeutet und welche Schlüsse die „Generation der Wende" daraus ziehen wird, ist überhaupt noch nicht abzusehen.

Ulrike Steglich

www.palastbuendnis.de

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