Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Beobachten verändert

Gespräch mit dem scheinschlag-Fotografen Philipp von Recklinghausen über Kriegsberichterstattung

Zwölf Jahre nach dem Artikel „Rent a Kriegsbild" ist Kriegsberichterstattung als Option sehr stark eingeschränkt worden. Reporter haben hohe Auflagen, müssen sich einem militärischen Kodex ein- und unterordnen. Eingebettet in eine Militäreinheit sollen sie den Krieg wahrnehmen. Versuche, dies unabhängig zu organisieren, sind durchaus gefährlicher und schwieriger durchführbar geworden. Fernsehanstalten kalkulieren mit Toten und Leidenden rund um die Uhr in kleinen Häppchen, gemischt mit Sport und Wetterberichten. Dabei fehlen Darstellungen militärischer Gewalt fast völlig. Zu sehen sind nurmehr Soldaten und ihr Gerät, keine Kampfhandlungen.

Du hast selbst Erfahrungen in einer Kriegssituation sammeln können. Wann und wo war das?

Als hier um die Ecke Krieg „stattfand" war ich so neugierig, was das denn ist: „KRIEG", daß ich Ende '92 nach Bosnien getrampt und bis in die Enklave Srebrenica gekommen bin, bekannt durch die Massaker, die dort etwa zwei Jahre später stattfanden. Das Gebiet um die Stadt wird einerseits vom Fluß Drina und andererseits von einer Straße abgegrenzt. Die Drina grenzt an Serbien, und die Straße führt direkt vom serbischen Belgrad ins bosnische Sarajevo. Diese Straße mußten die serbischen Militärs benutzen, um die Kämpfe in und um Sarajevo zu unterstützen. Die Straße wurde „gesichert", und Srebrenica wurde zur Enklave. Rausgekommen bin ich da zweifach verwundet am 4. April 1993 mit einem Hubschrauber der Vereinten Nationen.

Es soll Bildreporter mit einer starken moralischen Grundhaltung direkt neben völlig abgestumpften Abenteurern geben. Oder sind das Klischees?

Es stimmt schon, die Charaktere und Motive sind sehr unterschiedlich bei denen, die da Kriege beobachten. Und die Gründe, die sie dafür angeben, können auch vorgeschobene sein. Ein Beispiel: Jahre nachdem ich wieder einigermaßen psychisch und körperlich heil war, erzählte ich einer Freundin meine Geschichte vom Suchen und Finden im Krieg. Sie hörte zu und sagte dann, daß es sich anfühle, als ob ich versucht hätte, einen Schock mit einem noch größeren zu überdecken, sprich in den Krieg zu gehen, um eine alte psychische Störung, eine Art Muster nachzuleben. Später habe ich herausgefunden, daß sie recht hatte. Solch eine Antwort gab ich aber nicht, wenn ich gefragt wurde, weil ich sie eben nicht wußte. Und viel schlimmer ­ diese Antwort paßt ja überhaupt nicht in das Bild, das man von sich selbst hat, und nicht in das Bild, das Andere von einem haben sollen. Abgesehen davon können abgestumpfte Abenteurer mit den Begriffen Farbmanagement, ICC-Profilierung oder FTP-Server nichts anfangen.

Umfassende Reportagen sieht man nicht mehr in Zeitungen, man muß eine Ausstellung besuchen, Bücher finden. Ist dieses Abdrängen in diese ­ ästhetisch sehr saubere, gutbürgerliche ­ Ecke nicht die falsche Entwicklung?

Das reale Problem der fotografischen Kriegsberichterstattung ist noch ein anderes ­ die Zeitspanne von der Aufnahme bis zur Publikation. Fernsehsender arbeiten mit einem so enormen technischen und personellen Aufwand zeitnah und auf einem Medium, das realer scheint als die Fotografie. Und wenn ein Fotograf dieses Rennen aufnimmt, ist er so mit der Technik beschäftigt, daß er kaum zum Fotografieren kommt. Meine Kollegin porträtierte unlängst Thomas Dworzak, der bei der renommierten Agentur Magnum fotografiert und sich über diesen Tatbestand bitter beklagt hat. Wenn dann einer, wie ich damals, zu Fuß und mit Analogtechnik arbeitet, ist er der Tagesberichterstattung so weit hinterher, daß er maximal ins Magazin paßt. Bei mir war es damals so, daß der Krieg scheinbar auf dem Höhepunkt war und trotzdem gab es kein „Fern-Sehen" in die Enklave. Wir waren total abgeschottet. Ich bin mit bosnischen Soldaten mehrere Nachtmärsche über feindliches Gebiet gelaufen. Das kann kein Kamerateam, und wenn, dann auch nur mit demselben Zeitversatz.

Dieses Abdrängen, Bücher und Ausstellungen zu machen, hat auch seine Vorteile. Die Magazine sind heute kriegsmüde, das ist so. Also versucht der Fotograf, auf anderem Wege Bilder zu zeigen. Und der Reiz, ein Buch zu machen, ist immer noch da, obwohl das mit Geldverdienen nichts mehr zu tun hat.

Mittels Digitaltechnik können Betroffene heute selbst aus Krisengebieten berichten. Hältst du dies für eine Chance oder eher für ein Risiko?

Ist nicht eben der Lettre Ulysses Award 2005 vergeben worden? Unter den nominierten eine anonyme Irakerin, die ein Internettagebuch auf Englisch geschrieben hat: Baghdad Burning. A Girl Blog from Iraq. Im Jugoslawienkrieg wurde den eingekesselten Bosniern nicht geglaubt, obwohl sie Amateurfunk benutzten und mit „Außen" kommunizieren konnten. Sie haben Meldungen durchgegeben, die Zahlen der Toten durch Hunger, der Toten durch Verletzung, der Toten durch Erfrieren. Keiner glaubte ihnen. Dann haben sie gefragt, ob ich das machen würde. Hab' ich gemacht, und auf einmal wurden die Zahlen veröffentlicht. Ich darf gerade als Zeuge im Prozeß gegen einen der militärischen Führer Srebrenicas vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag aussagen. Für die Verteidigung ist es sehr schwierig, glaubhaft zu machen, daß dieser Mann aus der Motivation heraus gehandelt hat, Menschen zu verteidigen. Selbst nach so unglaublichen Vorgängen wie den Massakern werden die, die nicht tatenlos waren, zu Tätern gemacht. Eine erstaunliche proserbische Propaganda arbeitet da.

Ich bin noch regelmäßig unten und spreche mit Serben, und immer wieder muß ich den Kopf schütteln, weil sie einfach nicht wahrhaben wollen, daß Menschen, zu deren Gruppe sie sich zählen, solche Sachen getan haben. Vor ungefähr vier Monaten tauchte ein Amateurvideo eines serbischen Soldaten auf, welches die Soldatenweihe eines orthodoxen Pfarrers zeigt und anschließend die Folter und Hinrichtung von mehreren muslimischen Bosniern. Erst seitdem zeigt sich langsam eine Veränderung bei denen, die dies vorher geleugnet haben. Chance oder Risiko? Es ist, wie es ist. Beobachten verändert.

Interview: Jörg Gruneberg

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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